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Die Gerechten

Die Gerechten

Titel: Die Gerechten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bourne
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was sie da hörten. Will ergriff den schweren Schürhaken, der vor dem Kamin hing. Er sah TC an, legte den Finger an die Lippen und schlich zur Tür hinaus und durch den Korridor zur Küche. Von dort schien das Geräusch zu kommen. Als er näher kam, hörte er ein Rascheln, als blättere der Eindringling in irgendwelchen Papieren. Dann sah er den Schatten eines hochgewachsenen Mannes. Sein Herz klopfte, und seine Kehle war ausgedörrt.
    In einer einzigen Bewegung sprang er um die Ecke und hob den Schürhaken über den Kopf – und ließ ihn krachend zu Boden fallen. Im letzten Augenblick war er seinem Ziel ausgewichen, und er hatte sein Opfer nur um Haaresbreite verfehlt.
    »Herrgott, Will! Was machst du denn?«
    »Dad!«
    »Du hast mich zu Tode erschreckt. Ich dachte, es wären Einbrecher. Himmel!« Monroe Senior ließ sich auf einen Stuhl fallen und presste beide Hände an die Brust.
    »Aber Dad, ich wusste doch nicht –«
    »Moment, Will, ja? Lass mich erst wieder zu Atem kommen. Moment.«
    Als Will nach TC rief, war die Verblüffung seines Vaters vollkommen. »Was, um Himmels willen, geht hier vor?«
    Will tat sein Bestes und berichtete seinem Vater, was in den letzten Stunden geschehen war; er erzählte von den SMS-Nachrichten, dem Buch der Sprüche, seinem Besuch in der Redaktion, dem Verfolger und der Flucht zur Penn Station.
    Er hörte geduldig zu, trank den Tee, den TC ihm gemacht hatte – der große Richter war ganz Vater.
    »Ich hätte dir sagen sollen, dass ich hier bin. Ich bin gestern Abend hergefahren. Ich hatte nichts von dir gehört und ging vor Sorge schier die Wände hoch. Ich dachte, das Meer rauschen zu hören und die Seeluft zu atmen, könnte mir gut tun. Beth ist deine Frau, Will, aber sie ist auch meine Schwiegertochter. Sie gehört zur Familie.« Er warf einen Blick auf TC, deren Wangen sich gerötet hatten.
    »Es tut mir Leid, dass wir Sie geweckt haben«, sagte sie, als ob sie das Thema wechseln wollte. Dann gähnte sie: »Ich könnte wirklich ein bisschen Schlaf gebrauchen.«
    »Stattgegeben. Will, das Gartenzimmer ist bezugsfertig.«
    Will ärgerte sich. Wollte sein Vater ihm befehlen, von TC getrennt zu schlafen – als habe er den Verdacht, dass sie das Bett miteinander teilen würden, wenn es nach ihnen ginge? War er etwa deshalb hier? Von der hässlichen Ahnung getrieben, sein Sohn betrüge seine geliebte Schwiegertochter?
    Aber vielleicht hatte der Richter noch einen viel dunkleren Verdacht. War es möglich, dass er sich einbildete, sein Sohn habe die ganze Geschichte inszeniert, um wieder mit seiner Exfreundin zusammen sein zu können? Ihm wurde klar, dass er seinen Vater sehr sparsam informiert und ihn kaum an der Suche nach Beth beteiligt hatte, und er hatte sich beharrlich geweigert, die Polizei zu informieren. Es war fast dreißig Jahre her, dass William Monroe Sr. als Strafrechtler gearbeitet hatte, aber er hatte bestimmt nichts von seinen Kenntnissen vergessen.
    Und was noch schlimmer war: Will wusste, dass er kein Recht hatte, empört zu sein. Schließlich hatte er seine Lippen noch wenige Stunden vorher auf TCs gedrückt. Und es war keine flüchtige Berührung gewesen, sondern ein richtiger Kuss.
    Er war zu müde, um noch etwas zu sagen. Stumm fügte er sich seinem Vater und ging die Treppe hinauf zu TC, die ihn auf dem Absatz erwartete. Ihre betretene Haltung ließ erkennen, dass sie das Gleiche spürte wie er: den Argwohn seines Vaters und das schuldbewusste Eingeständnis, dass dieser Argwohn nicht völlig unbegründet war.
    SONNTAG, 0.33 UHR, MANHATTAN
    »Gute Arbeit, junger Mann. Und dein Enthusiasmus ist mir eine Freude, wirklich. Aber jetzt ist es besser, du hältst dich zurück. Wegen Long Island mache ich mir keine Sorgen. Dich brauchen wir hier in der Stadt.«
    »Wo soll ich mich aufstellen, Sir?«
    »Tja. Sie werden ja nicht lange auf Long Island bleiben, oder? Er wird zurückkommen müssen. Zur Penn Station also. Sieh zu, dass du dort bist, um ihn zu begrüßen.«

36
    SONNTAG, 9.13 UHR, SAG HARBOR, NEW YORK
    Er hatte das Telefon eingeschaltet gelassen und neben sich auf das Kopfkissen gelegt. Aber er war so erschöpft, dass das kurze Vibrieren einer neuen Nachricht ihn kaum weckte. Stattdessen schlängelte es sich in seinen Traum. Er schloss gerade die Tür zu seiner Wohnung auf. Als er eintrat, sah er Beth in der Küche, ein Kind an ihre Hüfte gepresst. Sie erschien ihm kampfbereit, als ob sie den kleinen Jungen – oder war es ein Mädchen? – gegen jeden

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