Die Gerechten
Spritze gegen das Licht. Er sprach Englisch und beugte sich dabei zu Mohammed herab. Der Dolmetscher flüsterte Mohammed ins Ohr:
Denn der Herr hat die Gerechten lieb und verläßt seine Heiligen nicht; ewiglich werden sie bewahrt; aber der Gottlosen Same wird ausgerottet.
Mohammed wand sich und versuchte verzweifelt freizukommen. Noch immer sprach die Stimme mit heißem Atem an seinem Ohr.
Der Gottlose lauert auf den Gerechten und gedenkt ihn zu töten. Aber der Herr läßt ihn nicht in seinen Händen und verdammt ihn nicht, wenn er verurteilt wird. Der Herr hilft den Gerechten; der ist ihre Stärke in der Not.
Dann durchbohrte die Nadel die Haut an seinem Arm, und als der Himmel sich verfinsterte, hörte er die Worte eines Gebets, bis die Stimme in der Ferne verklang und alles still war.
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MONTAG, 14.50 UHR, BROOKLYN
Jetzt übernahm Will die Führung. Fast gewaltsam stieß er Tom von seinem Stuhl und kehrte unverzüglich ins Basislager des Journalisten im 21. Jahrhundert zurück: zu Google.
Kirche des Wiedergeborenen Jesus brachte eine ganze Seite mit Treffern, aber die Informationen waren spärlich. Zu Wills Überraschung hatte diese Gruppe keine eigene Website.
Er klickte den ersten Link an und fand einen Vortrag, der auf einer Tagung an der University of Nebraska gehalten worden war.
Zahlenmäßig nie besonders groß, gewann die Kirche des Wiedergeborenen Jesus auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklung vor einem Vierteljahrhundert doch großen Einfluss, vor allem unter jungen christlichen Intellektuellen. Im Mittelpunkt ihrer Lehre stand eine radikale Variante der Ersetzungstheologie, des Glaubens also, dass die Christen die Juden als auserwähltes Volk Gottes ersetzt haben.
Ärgerlicherweise stand in dem Artikel nichts weiter darüber; stattdessen folgte eine ausführliche Schilderung des College-Christentums der siebziger Jahre. Aber Will war jetzt in Fahrt. Er sah, dass es TC genauso ging, aber beide wussten intuitiv, dass sie jetzt keine Zeit für Erörterungen hatten. Er ging geradewegs zur Online-Enzyklopädie Wikipedia und gab dort »Ersetzungstheologie« ein.
Ein paar Sekunden lang tappte er, halb bang, halb aufgeregt, mit dem Fuß. Eine halb vergessene Erinnerung zerrte an seinen Nerven. Die Kirche des Wiedergeborenen Jesus: den Namen hatte er schon mal gelesen, irgendwo in seinem Büro …
Dann erschien eine Seite mit der Überschrift »Supersessionismus«, und er las, es handele sich um die »traditionelle christliche Überzeugung, das Christentum sei die Erfüllung des biblischen Judentums. Juden, die leugnen, dass Jesus der jüdische Messias sei, erfüllen deshalb nicht ihre Berufung als Gottes auserwähltes Volk.«
Will las weiter. »Israel, wird behauptet, sei in dem Sinne ersetzt worden, dass der Kirche die Erfüllung der Verheißungen anvertraut ist, die das jüdische Israel treuhänderisch erhalten habe …«
Weiter hieß es, zwar hätten mehrere liberale protestantische Gruppierungen die Ersetzungstheologie verworfen und entschieden, dass Juden und »vielleicht auch« andere Nichtchristen durch ihren eigenen Glauben zu Gott finden könnten, aber »andere konservative und fundamentalistische christliche Sekten betrachten die Ersetzungstheologie nach wie vor als gültig … Die Debatte wird fortgesetzt.«
Und ich wette, ich weiß, wo sie fortgesetzt wird, dachte Will und kehrte zu Google zurück, um seine Suche mit »Kirche des Wiedergeborenen Jesus« und »Ersetzungstheologie« zu spezifizieren. Er fand drei Ergebnisse. Das erste war ein Artikel aus der Christian Review.
»… geriet die Ersetzungstheologie in dieser Periode zunehmend aus der Mode, diskreditiert durch »Political Correctness‹, wie ihre Verteidiger behaupteten. Noch wenige Jahre zuvor hatte sie eine beachtliche Renaissance erlebt – hauptsächlich durch eine intellektuelle Gruppierung namens ›Kirche des Wiedergeborenen Jesus‹. Dieser Gruppierung zufolge hatten die Christen durch die Anerkennung Jesu als Messias nicht nur den Status der Juden als auserwähltes Volk Gottes, sondern das Judentum selbst geerbt. Die Juden, so die Ansicht der Kirche des Wiedergeborenen Jesus, hatten Gottes unmittelbare Wünsche ignoriert und damit verwirkt, was sie von Ihm gelernt hatten. Sie hatten sich selbst ihrer Rolle als auserwähltes Volk begeben, aber zudem – und mit dieser Auffassung hebt sich die Kirche des Wedergeborenen Jesus von anderen Sekten ab – hatten die Juden auch ihre eigenen Traditionen, Gebräuche und
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