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Die Gerechten

Die Gerechten

Titel: Die Gerechten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bourne
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sogar ihre Folklore aufgegeben, die somit als Besitz der frommen Christen zu betrachten waren.«
    »Halt.« TC war blass geworden. »Das ist der entscheidende Punkt, genau hier. Ihre eigenen Traditionen, Gebräuche und sogar ihre Folklore. Diese Sekte glaubt, dass das Judentum die Wahrheit in sich birgt, aber nicht für Juden, sondern für Christen. Sogar ihre Folklore. Verstehst du nicht? Sie haben alles für sich genommen. Die Mystik, die Kabbala, alles.«
    »Die Geschichte von den Gerechten«, sagte Will.
    »Genau. Sie halten sie nicht für eine verrückte chassidische Überlieferung. Sie glauben, die Geschichte gehört ihnen. Sie glauben, sie ist wahr.«
    Er klickte das nächste Google-Resultat an. Es war ein Link zu einer evangelikalen Diskussionsgruppe. Jemand, der sich New-Dawn21 nannte, hatte ein langes Posting geschrieben, anscheinend als Antwort auf eine Frage nach dem Ursprung der Kirche des Wiedergeborenen Jesus.
    »Nein, sie existiert heute nicht mehr, aber zu ihrer Zeit war sie sehr einflussreich – sozusagen das intelligente Ende der ganzen Jesus-Freak-Bewegung mit ihren Sandalen. Ihre Leitfigur war dieser charismatische Prediger, Reverend Jim Johnson, der damals Geistlicher in Yale war.«
    Will hob den Kopf und sah TC an. »Den Namen kenne ich«, sagte er. »Er hat in den siebziger Jahren eine merkwürdige evangelikale Bewegung gegründet. Johnson ist vor ein paar Jahren gestorben.«
    Aber TC las weiter.
    »Anscheinend beeinflusste Rev. Johnson eine ganze Generation der christlichen Elite. Man nannte ihn den Rattenfänger des Campus von Yale, weil er so treu ergebene Anhänger hatte.«
    »Das kann ich bestätigen«, hieß es im nächsten Posting. »Ich war damals in Yale, und Johnson war ein Phänomen. Er interessierte sich ausschließlich für die erstklassigen Studenten – Redakteure der juristischen Unizeitung, Jahrgangssprecher, solche Leute. Wir nannten sie die Apostel, weil sie Johnson nachliefen, als wäre er der Messias oder so was. Falls es jemanden interessiert – ich habe ein Foto aus der Yale Daily News gescannt, auf dem Johnson und seine Anhänger zu sehen sind. Hier klicken.«
    Will klickte und wartete, bis das Bild geladen war. Es war körnig und in tristen Siebziger-Farben, und es dauerte eine Weile, bis es den ganzen Bildschirm ausfüllte. Breit grinsend wie der Captain eines College-Footballteams stand in der Mitte ein Mann, der vielleicht Ende dreißig war. Er trug ein offenes Hemd und eine große, kantige Brille, wie sie damals supermodern war. Er trug keinen Priesterkragen und keinen dunklen Anzug. Er sah aus, fand Will, wie ein »muskulöser Christ«, die es einst im Viktorianismus gegeben hatte.
    Um ihn herum standen junge, ernst blickende Männer, die allesamt das Selbstbewusstsein der zum Herrschen Geborenen ausstrahlten, wie es einem aus jedem Jahrbuch von Yale oder Harvard entgegenwehte. Sie trugen langes Haar, große Hemdkragen und breite Jackenaufschläge. Aus ihren Gesichtern leuchtete das Potenzial. Es war klar, diese jungen Männer würden nicht nur die Welt regieren, sondern sie glaubten auch, dass sie es mit dem Segen Jesu tun würden.
    »Ich glaube, ihr müsst euch beeilen.« Tom hatte Wills Posten am Fenster übernommen. »Da draußen hat ein Wagen gehalten. Zwei Typen sind ausgestiegen und ins Haus gelaufen. Anscheinend hatten sie es eilig.«
    Aber Will hörte ihn kaum. Er lehnte sich überrascht zurück: Er hatte eins der Gesichter auf dem Foto erkannt. Das war nur möglich, weil er erst vor kurzem ein anderes Jugendfoto desselben Mannes gesehen hatte. Die Zeitung hatte es gebracht, als er seine Stellung angetreten hatte. Und hier, an Jim Johnsons Seite, stand niemand anders als Townsend McDougal, der heutige Chefredakteur der New York Times.
    »Ich glaub’s nicht«, sagte Will.
    »Er ist es, oder?«
    Will war verblüfft. Woher kannte TC McDougal?
    »Ich wollte es nicht sagen, weil ich nicht ganz sicher war. Aber es konnte eigentlich niemand anders sein.«
    Will sah sie stirnrunzelnd an. »Von wem redest du?«
    »Will! Sie kommen herauf! Ihr müsst weg!«
    »Schau!« TC zeigte auf die linke hintere Reihe der Studenten, die Will noch kaum genauer angesehen hatte, und ihr Finger verharrte auf einem schlanken, gut aussehenden jungen Mann mit dichtem Haar. Er lächelte nicht.
    »Vielleicht irre ich mich, Will. Aber ich glaube, das ist dein Vater.«
     

59
    MONTAG, 14.56 UHR, BROOKLYN
    Tom riss Will förmlich vom Stuhl und stieß ihn durch das Fenster hinaus auf

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