Die Gerechten
herrschte doch die unausgesprochene Überzeugung, dass die Religion der Wiedergeborenen ein Reservat der einfachen Leute sei. »Bau auf Jesus« war etwas für Frauen in Polyesterhosen, die sich im Fernsehen Pat Robertson ansahen, oder für genesende Alkoholiker, die »umkehren« mussten und ihre Erlösung mit einem Autoaufkleber bekannt gaben. Es war nichts für kultivierte East-Coast-College-Absolventen wie sie.
Townsend McDougal brachte alle diese Ansichten durcheinander. Jetzt mussten Tráiy-Journalisten ihre gewohnte Arithmetik überprüfen, die »säkular« mit »intelligent« gleichsetzte. Von jetzt an war Religion nicht mehr eine Frage des schlechten Geschmacks, wie lange Haare oder Fertiggerichte. Es galt sie mit Respekt zu behandeln. Diese Veränderung wurde schon wenige Wochen nach McDougals Ankunft bemerkbar, von den Modeseiten bis zum Sportteil. Dabei hatte der neue Chefredakteur nicht einmal ein Memo herumgeschickt. Das brauchte er nicht.
Jetzt spazierte er durch die Lokalredaktion, und sein Blick ging in eine ganz bestimmte Richtung.
»Hör mal, ich muss Schluss machen«, sagte Will ins Telefon – hoffentlich leise genug. Als er auflegte, sprach McDougal ihn an.
»Willkommen im Allerheiligsten, William. Auf der Titelseite der größten Zeitung der Welt.« Will spürte, dass er rot wurde. Nicht aus Verlegenheit über das Kompliment, nicht mal wegen McDougals Trompetenstimme, die sein Loblied mit einem Akzent durch das Büro posaunte, der so kultiviert war, dass man meinen konnte, man sei in England – obwohl das schon peinlich genug war. Es war das »William«, das ihm peinlich war. Will hatte angenommen, sein Vater und McDougal seien sich einig, dass die Freundschaft zwischen ihnen kein Thema für die Öffentlichkeit sei. Will wusste, dass er ohnedies mit Vorbehalten zu rechnen hatte – als ehrgeiziger junger Schreiber auf der Überholspur –, ohne dass seine Kollegen auch noch annehmen mussten, er sei Nutznießer des uralten, karrierefördernden Vitamins namens Vetternwirtschaft.
Aber jetzt war es raus; McDougals Lautstärke hatte dafür gesorgt. Die internen E-Mails würden nur so hin und her schwirren: Rate mal, wer mit dem neuen Boss per Vornamen verkehrt? Will hatte sich auf seine Stellung beworben wie jeder andere auch: Er hatte einen Brief geschrieben und war zu einem Vorstellungsgespräch erschienen. Aber das würde jetzt niemand mehr ernst nehmen. Er spürte, wie sein Hals glühte.
»Sie haben einen guten Anfang gemacht, William. Haben sich wenig verheißungsvolles Rohmaterial vorgenommen und daraus einen Artikel für die Seite eins gemacht. Manchmal wünschte ich, ein paar Ihrer reiferen Kollegen wollten ein ähnliches Maß an Fleiß und Elan zeigen.«
Ob McDougal es absichtlich darauf anlegte, ihm das Leben zur Hölle zu machen? War das eine Art Initiationsritus, wie er in der »Schädel und Knochen«-Verbindung in Yale praktiziert wurde, wo er und sein Vater so gute Freunde geworden waren? Genauso gut hätte der Chefredakteur ihm eine Zielscheibe auf den Rücken malen und unter den Kollegen Armbrüste verteilen können.
»Danke.«
»Ich werde mehr von Ihnen erwarten, William. Und ich werde diese Story mit Interesse weiterverfolgen.«
Mit einem dezenten Rascheln seines maßgeschneiderten grauen Anzugs war Townsend McDougal verschwunden. Die Reporter, die bis dahin in Habachtstellung an ihren Schreibtischen gesessen hatten, sackten wie auf Kommando wieder in sich zusammen. Der »City Life«-Kolumnist zog seine oberste Schublade auf, fischte die Zigaretten heraus und nahm Kurs auf die Feuertreppe.
Auch Will hatte ein dringendes Bedürfnis. Ohne nachzudenken, wählte er Beths Nummer. Nach dem zweiten Klingeln gab er auf. Sie jetzt wegen eines beruflichen Triumphs anzurufen, würde nur all das bestätigen, was sie über ihn gesagt hatte. Nein, er hatte noch Buße zu tun.
»Tja, William.« Walton hatte seinen Stuhl der freien Fläche zugedreht, die sie mit Woodstein und Schwarz gemeinsam hatten. Er schaute zur Decke und lächelte herablassend. Dabei wirkte er wie ein bösartiger Schuljunge.
Terence Walton war fast fünfzig Jahre alt, aber er hatte etwas Infantiles an sich mit seiner entnervenden Gewohnheit, während der Arbeit Computerspiele zu spielen und tastenklappernd alle möglichen Aliens abzuknallen, um »auf das nächste Level« zu gelangen. Seine Finger schienen ständig auf der Suche nach Ablenkung zu sein; sowie er ein Telefongespräch beendet hatte, führte er das
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