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Die Gerechten

Die Gerechten

Titel: Die Gerechten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bourne
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Liberaler wie William Monroe Sr. konnte schwer dagegen ankommen. Aber wenn es ihm gelang, ein paar harte, gottlose Kanten an sich abzuschleifen, dann war das seinem Ziel sicher förderlich. Das zumindest war die Deutung seines Sohnes.
    Will ging auf Zehenspitzen zum Schlafzimmer und öffnete die Tür einen Spaltbreit. Beth schlief fest. Er schloss die Tür wieder, holte sich, was von der Pasta übrig war und aß direkt aus dem Topf. Ihm war, als hätte sich in der Wohnung auf einmal eine hohe Mauer aufgerichtet – und stünde nun zwischen ihm und Beth. Er griff nach der Fernbedienung und setzte sich vor den Fernseher, um CNN zu sehen.
    Zu den Auslandsnachrichten. Weitere Schwierigkeiten in London für den britischen Finanzminister, Schatzkanzler Gavin Curtis, der heute von der Kirche unter Beschuss genommen wurde. Der Bischof von Birmingham wandte sich an das Oberhaus, um den Druck auf den Minister zu verstärken.
    Will richtete sich auf und sah genauer hin. Curtis sah gehetzt aus und viel älter, als Will ihn in Erinnerung hatte. Er war auf einen Besuch nach Oxford gekommen, als Will dort studiert hatte; damals war er in der Opposition gewesen, im Schattenkabinett zuständig für Umweltpolitik. Er war als Hauptredner in der Oxford Union Society aufgetreten, dem großen Debattierclub, und das Thema war gewesen: Steht das Ende der Welt bevor? Will war damals Redakteur des Cherwell gewesen – und hatte sich selbst den noblen Auftrag erteilt, den Politiker bei seinem Besuch zu interviewen.
    Er hatte seit Jahren nicht mehr daran gedacht, aber damals hatte Curtis ziemlich großen Eindruck auf ihn gemacht. Er hatte Will ernst genommen und ihn wie einen richtigen Journalisten behandelt, obwohl Will damals höchstens neunzehn Jahre alt gewesen war. Und das Komische war: Curtis war ihm damals überhaupt nicht wie ein Politiker vorgekommen, sondern eher wie ein Lehrer. Er hatte im Gespräch immer wieder auf Bücher und Filme verwiesen und wissen wollen, ob Will etwas von diesem obskuren holländischen Theologen gelesen oder jenen umstrittenen polnischen Film gesehen hatte. Nach dem Gespräch, das sie in zwei abgewetzten Ledersesseln in der Bibliothek der Union geführt hatten, hatte Will sich unzulänglich gefühlt, aber er war auch überzeugt gewesen, dass Curtis bald vergessen sein werde: Er wirkte viel zu intellektuell für das blutige Handwerk der hohen Politik. Als sein Interviewpartner dann seinen Aufstieg im Kabinett fortgesetzt hatte, war Will über seinen Mangel an politischer Vorausschau beschämt gewesen.
    CNN zeigte jetzt einen weißhaarigen Geistlichen im grauen Anzug, unter dem ein kleines Stück des violetten Priestergewandes hervorschaute. Das zorngerötete Gesicht des Bischofs hatte fast die gleiche Farbe. CNN beschrieb ihn als Führer des britischen Gegenstücks zu Amerikas »Gemeinschaft der Werte«, eines höchst moralstrengen Flügels evangelikaler Erweckungschristen. »Dieser Mann ist voller Sünde!«, erklärte er unter zustimmendem und ablehnendem Gemurmel des Hauses. »Wenn es zutrifft, dass er öffentliche Gelder unterschlagen hat, muss er aus dem Amt gejagt werden!«
    Will schaltete den Fernseher ab und ging zum Computer. Beth würde bis zum nächsten Morgen schlafen. Er überlegte, ob er sie wecken sollte, damit sie miteinander sprechen könnten. Sie hatten eine Regel: Niemals im Streit schlafen gehen. Aber sie schlief so fest, dass er kaum Punkte machen würde, wenn er sie jetzt weckte. Er hatte ihr Gesicht gesehen. Im Laufe einer Nacht konnte sie ein Dutzend verschiedene Ausdrucksformen zeigen: heitere Ruhe, gerunzelte Stirn, ironische Amüsiertheit. Mehr als einmal war Will aufgewacht, weil sie im Schlaf über irgendeinen unergründlichen Scherz lachte. Aber jetzt hatte er, obwohl das herbstbraune Haar fast das ganze Gesicht bedeckte, die Sorgenfalte auf ihrer Stirn sehen können. Sie sah sehr konzentriert aus. Er stellte sich vor, wie er die Stirn mit einer sanften Berührung glatt strich. Vielleicht sollte er hineingehen und es tun. Aber nein, dachte er. Was, wenn sie aufwachte und ihr Krach weiter ging? Es war besser, die Sache ruhen zu lassen.
    Dann konnte er genauso gut auch die Nacht durcharbeiten, die Macrae-Story schreiben und sie gleich morgen früh abliefern. Zumindest würde das Harden beeindrucken. Und es wäre ein Grund, das Schlafzimmer heute zu meiden.
    Er setzte sich ans Keyboard, aber seine Gedanken schweiften immer wieder von Letitia, Howard und den Straßen von Brownsville

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