Die Gerechten
Tomatensauce bekleckerte, und dann sprang sie auf und rannte ins Schlafzimmer. Will lief hinterher, aber sie schlug ihm die Tür vor der Nase zu, und er hörte sie weinen.
Wie hatte er nur solchen Bockmist machen können? Er hatte versprochen, sich am Nachmittag ein oder zwei Stunden Zeit zu nehmen und mit ihr in die Klinik zu fahren. Stattdessen hatte er gearbeitet und für den Rest des Tages alles andere vergessen. Er hatte sogar über den Blackberry eine Nachricht, in der es um seine Arbeit ging, an Beth geschickt, genau zum Zeitpunkt ihres Arzttermins. Er wusste, was seine Frau, die Psychologin, dachte: Er stürzte sich in seine Arbeit, um sich mit dem eigentlichen Problem nicht beschäftigen zu müssen. Vier Jahre verheiratet, zwei Jahre ungeschützter Sex, ein Jahr ernsthaftes »Bemühen« – und noch immer war Beth nicht schwanger. Will wusste, dass es so aussah, aber in diesem Fall irrte sie sich. Dies war keine neue Entwicklung in seinem Leben. Er war schon immer ehrgeizig gewesen. Schon auf dem College in Oxford hatte er hart gearbeitet; wenn er nicht in der Redaktion des Cherwell, der Studentenzeitung, Dienst getan hatte, hatte er versucht, Artikel über das Universitätsleben in der Fleet Street anzubringen. So war er.
Das Telefon klingelte.
»Will?«
»Oh, hallo, Dad.«
»Ich wollte nur hören, ob dir das Konzert gefallen hat.«
»Ja, natürlich. Es war wunderbar.« Will fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und schaute zu Boden. Wie hatte er so dumm sein können? »Ich hätte dich anrufen sollen. Ein erstaunlicher Chor.«
»Aber du klingst bedrückt.«
»Nein, bloß müde. Es war ein langer Tag heute.«
»Woran arbeitest du?«
Beths Anwesenheit hinter der geschlossenen Schlafzimmertür erfüllte das ganze Apartment wie heißer Rauch. Er sollte hingehen, durch die geschlossene Tür mit ihr sprechen, sie herauslocken oder versuchen, zu ihr hineinzukommen.
»Du erinnerst dich, dass ich nach dem Konzert gerufen wurde, wegen eines Mordfalls? Na ja, das war nichts als ein Feld-Wald-und-Wiesen-Bandenmord –«
»Ist der Ausdruck von dir – ›Feld-Wald-und-Wiesenmord‹?«
»Nein. Das ist der Jargon der Polizeireporter.«
»Passt nicht zu dir.«
»Wie auch immer, es geht darum, einen Fall zu nehmen, der für alle ein stinknormaler Mord ist, und zu sehen, was wirklich passiert ist. ›Ein Blick hinter die Statistik.‹ Das Leben hinter dem Tod. So ungefähr.«
»Eine gute Idee. Was hast du bis jetzt herausgefunden?«
»Dass das Opfer ein mieser Zuhälter war.«
»Na, das ist nun keine große Überraschung. Nicht in der Gegend. Aber ich kann’s nicht erwarten, deinen Artikel über den IWF zu lesen; das ist doch sehr viel eher dein Gebiet, nehme ich an. Hör zu, Will – Linda winkt. Es gibt ein Dinner bei Habitat – du-weißtschon-wer ist auch da –, und man erwartet, dass wir dabei sind. Bis bald, ja?«
Selbst an seinen freien Abenden, dachte Will, gab es für seinen Vater und seine »Partnerin« – ein Wort, dass Will nur in Anführungszeichen über die Lippen brachte – immer nur moralisch wertvolle Unternehmungen. »Habitat für Humanität« war eine seiner bevorzugten Wohltätigkeitsorganisationen. »Mir gefällt es, einem Anliegen Zeit und Mühe zu widmen, nicht nur Geld«, hatte Monroe Sr. schon mehr als einmal erklärt. »Man soll sein Herz öffnen, nicht nur seine Geldbörse.« Im Büro des Richters hing ein Foto, das ihn selbst und den ehemaligen Präsidenten der Vereinigten Staaten – »du-weißt-schon-wer« – zeigte: Beide standen in Holzfallerhemden auf einer Leiter, und der Expräsident hielt einen Hammer in der Hand. Sie beteiligten sich an einer der Veranstaltungen, die das Markenzeichen von Habitat waren: Sie bauten ein Haus für Obdachlose an einem einzigen Tag. Irgendwo in Alabama.
Will wunderte sich über die Wohltätigkeitsleidenschaft seines Vaters. Genauer gesagt, er betrachtete sie mit Argwohn. Die zynischste Deutung war die, dass er damit seine Karriere beförderte und das Image des William Monroe Sr. als Mann von hervorragendem Charakter polierte, der sich vorzüglich für einen Platz im Obersten Bundesgericht der Vereinigten Staaten eignete. Will fragte sich, ob sein Vater ganz konkret seine Chancen bei den christlichfundamentalistischen Interessengruppen verbessern wollte, die so entscheidenden Einfhiss auf die Ernennungen zum Obersten Gericht ausübten. Einige der Konkurrenten seines Vaters waren ausgesprochen überzeugte Christen. Ein säkularer
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