Die Gerechten
sprang zum Ende der Nachricht, um zu sehen, ob da eine Signatur stand. Nichts. Mit feuchten Händen schaltete er sein Handy ein, drückte im Nummernverzeichnis auf B und wählte »Beth«, den ersten Namen, der auftauchte.
Bitte melde dich. Bitte, lieber Gott, lass mich ihre Stimme hören. Das Telefon klingelte und klingelte, und dann war ein Ton kürzer als die andern: Der Anruf wurde auf die Voicemail umgeleitet.
Hi, hier spricht Beth …
Er sackte zusammen, als er ihre Stimme hörte. Eine Erinnerung ging ihm durch den Kopf. Als er sie das erste Mal gefragt hatte, ob sie mit ihm ausgehen wollte, hatte er eine Nachricht auf ihrem Anrufbeantworter hinterlassen. »Wenn es nicht gerade extrem unangemessen ist«, hatte er gesagt, »würde ich gern fragen, ob du Lust hättest, am Dienstagabend mit mir essen zu gehen.« Mit »extrem unangemessen« hatte er herausfinden wollen, ob sie mit jemandem zusammen war.
»Hello; hier ist Beth McCarthy, und die Antwort ist nein«, hatte ihre Antwort, ebenfalls auf dem Anrufbeantworter, gelautet. »Es wäre keineswegs extrem unangemessen, wenn wir am Dienstag zusammen essen gingen. Im Gegenteil, es wäre wunderbar.« Will hatte sich diese Nachricht ein Dutzend Mal angehört, als er sie bekommen hatte, und jetzt hörte er sie wieder in seinem Kopf.
’ Er trennte die Verbindung, und seine Hände zitterten, als er die Nummer der Klinik eintippte. »Hallo, bitte pagen Sie Beth Monroe. Ich bin ihr Mann. Bitte.«
Warteschleife. Musik von Vivaldi. Er betete zum Himmel, dass sich jemand meldete und dass dieser Jemand Beth sei. Bitte lass mich ihre Stimme hören. Aber die Musik spielte weiter. Schließlich: »Tut mir Leid, Sir, aber der Ruf wird nicht beantwortet. Gibt es einen anderen Arzt, der Ihnen helfen kann?«
Plötzlich überfiel ihn ein Gedanke. Vielleicht war sie schon seit Stunden weg. Vielleicht war sie mitten in der Nacht aus ihrem Schlafzimmer verschleppt worden. Bei ihr war es kurz vor zwölf gewesen, als sie miteinander telefoniert hatten. Vielleicht waren die Entführer um fünf ins Haus eingedrungen? Um sechs? Oder eben erst? Er war einen Kontinent weit von ihr entfernt gewesen und hatte fest geschlafen, statt seine Frau zu beschützen.
Wieder las er die E-Mail, und sein Herz krampfte sich zusammen. Er versuchte sich zu konzentrieren und studierte den Header der Nachricht, das seltsame Zeichengewirr. Ein paar Zahlen waren dabei, das Datum des Tages und eine Uhrzeit: Ol Uhr 37. Das war ein paar Stunden her, und es lieferte keinen Hinweis.
Natürlich sollte er die Polizei anrufen. Aber diese Leute, diese Schweine, gaben sich hart – als würden sie tatsächlich nicht zögern, Beth zu töten. Bei dem bloßen Wort, selbst wenn es nur ein Gedanke in seinem Kopf war, zuckte er zusammen. Er bereute, diesen Gedanken überhaupt zugelassen zu haben, denn damit schien die Möglichkeit real zu werden. Er wünschte, er könnte ihn zurücknehmen.
In seiner fast kindlichen Not sehnte er sich plötzlich nach seiner Mutter. Er könnte sie anrufen – in England wäre jetzt Nachmittag –, und es wäre ein solcher Trost, ihre Stimme zu hören. Aber er wusste, dass er es nicht tun würde. Sie würde außer sich geraten, vielleicht eine Panikattacke bekommen. Außerdem konnte er sich nicht darauf verlassen, dass sie nicht die Polizei alarmieren oder mit jemandem reden würde, der es dann täte. Tatsache war: Sie war zu weit weg, als dass er sie managen könnte, und seine Mutter war ein Mensch, der gemanagt werden musste. (Ihm wurde klar, dass dieser Ausdruck von Beth stammte. Natürlich, denn sie war einer der wenigen Menschen, die es verstanden, mit Wills Mutter umzugehen.)
Langsam dämmerte ihm, dass es nur einen Menschen gab, den er um Rat fragen konnte, nur einen, der wissen würde, was zu tun war. Mit zitternder Hand griff er nach dem Hörer des Festnetztelefons; irgendetwas sagte ihm, dass dies kein Anruf war, der über ein Handy gehen durfte.
»Büro Richter William Monroe.«
»Janine, Will hier. Ich muss sofort mit meinem Vater sprechen.« Sein Ton setzte alle gesellschaftlichen Konventionen außer Kraft, und die Sekretärin seines Vaters begriff sofort, dass es sich um einen Notfall handelte. Sie sparte sich den üblichen Smalltalk und ging einfach aus dem Weg – wie ein Auto, das Platz für den Krankenwagen macht. »Ich verbinde Sie mit dem Wagen.« Ein Mobiltelefon, dachte Will besorgt. Aber er musste sich damit abfinden; das Wichtigste war jetzt, dass er seinen Vater
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