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Die Gerechten

Die Gerechten

Titel: Die Gerechten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bourne
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sie hatten Angst, er sei ein Undercover-Cop. Die Fragen, die er gestellt hatte, seine Schnüffelei …
    »Keine Wanze«, sagte der dunkle Mann, und sein Akzent bestätigte, dass er aus dem Nahen Osten kam – vielleicht ein Israeli.
    »Aber das hier.« Das war der Rotbart, der während der Leibesvisitation, die sich auch auf Wills Beine erstreckt hatte, die Taschen des Gefangenen durchsucht hatte – auch die linke Innentasche der Jacke. Geheimverstecke gab es da nicht; sein Moleskine-Notizbuch zeichnete sich deutlich in der Tasche ab. Rotbart zog es heraus und reichte es dem Unsichtbaren hinter ihnen. Will wurde wieder auf den Stuhl gedrückt und hörte, wie die Seiten umgeblättert wurden.
    Das Blut wich aus seinem Kopf. Seine Gedanken kehrten zurück zu Sandys Haus, wo sein Gastgeber ihn gebeten hatte, die Tasche zurückzulassen. Und Will hatte sich für so clever gehalten. Er hatte seine Tasche zurückgelassen – aber erst, nachdem er das Notizbuch herausgenommen und die Brieftasche in ein verborgenes Fach geschoben hatte. Er hatte verhindern wollen, dass Sara Leah schnüffelte. Jetzt war das Notizbuch in den Händen des Rebbe. Trottel!
    Will machte sich auf eine Explosion gefasst. Je länger das Schweigen dauerte, unterbrochen nur vom Rascheln der Seiten, desto feuchter wurden seine Handflächen.
    Seine Gedanken überschlugen sich, als er versuchte, sich daran zu erinnern, was in diesem Buch Verräterisches stand. Zum Glück war er nicht ordentlich genug, um seinen Namen auf die erste Seite zu schreiben. Walton tat so etwas – eine säuberliche Inschrift auf dem Vorsatzblatt. Manche Reporter benutzten sogar penible Adressenetiketten. Zumindest in dieser Hinsicht hatte ihn seine Schlampigkeit gerettet.
    Aber was war mit den Unmengen Notizen, einschließlich dessen, was er allein heute in Crown Heights aufgeschrieben hatte? Die wären vielleicht okay; sie würden seine Tarnung als Reporter Tom Mitchell bestätigen. Aber hatte er nicht auch den Computerkram bei Tom notiert? Und er hatte doch sicher auch etwas über die E-Mail der Kidnapper aufgeschrieben …
    Die Sekunden wälzten sich dahin – wie eine Schallplatte, die mit der falschen, viel zu langsamen Geschwindigkeit läuft. Eine leise Hoffnung erwachte. War es möglich, dass seine krause Kurzschrift, sein einzigartiges stenographisches Gekritzel, ihn retten würde? Es war ein unsystematischer Mischmasch von Kürzeln, den er schon an der Uni und später beim Record entwickelt hatte. Für ihn leistete er gute Dienste, aber er fürchtete den Tag, da er aufgefordert würde, dem Chefredakteur seine Notizen vorzulegen – oder, schlimmer noch, einem Richter. Er malte sich immer einen Verleumdungsprozess aus, dessen Dreh- und Angelpunkt die Exaktheit seiner schriftlichen Aufzeichnungen wäre. Er würde ganze Teams von Graphologen beschäftigen müssen, die bestätigten, dass er die Wahrheit sagte. Aber in diesem Moment war es ein Vorteil: Will wusste, dass seine Notizen praktisch unleserlich waren.
    »Sie haben gegen unsere Vorschriften verstoßen, Mr. Mitchell. Wenn ich ›unsere Vorschriften sage, meine ich nicht ›uns‹, die Leute von Crown Heights. Was bedeuten wir schon im großen Plan der Dinge? Wir sind Ameisen. Aber Sie haben gegen Haschems Vorschriften verstoßen.«
    Ein Satz hallte Will durch den Kopf. Du sollst kein falsches Zeugnis ablegen. Es war fast, als habe er diesen Gedanken empfangen, statt ihn selbst zu denken. Es war eins der Zehn Gebote. Er wusste, dass sie für Christen und Juden gleichermaßen galten – und sicher hatte der Rebbe genau das im Sinn. Im nächsten Satz würde er ihn der Lüge bezichtigen. Er war erledigt.
    »Ich glaube, Sie wissen, dass es uns mit diesen Vorschriften ziemlich ernst ist. Am Sabbat wird nichts getragen. Shimon Shmuel hat es Ihnen gesagt, und ich habe es Ihnen bestätigt. Es darf nichts getragen werden. Keine Brieftasche, kein Schlüssel. Kein Notizbuch.«
    »Ja.«
    »Dass wir diese Vorschriften ernst nehmen, Tom, bedeutet, dass sie für unsere Gäste genauso wie für uns gelten. Das verstehen Sie doch sicher. Aber hier sitzen Sie mit einem Notizbuch.«
    »Ja, aber das ist das Einzige, was ich mitgenommen habe. Alles andere hab ich bei Sandy gelassen.« Will richtete seine Worte an einen Bücherschrank; sein Befrager stand hinter ihm, die Bewacher an seiner Seite. »Außerdem bin ich kein Jude. Wissen Sie, ich dachte nicht, dass diese Vorschriften auch für mich gelten.« Laut ausgesprochen klang es lahmer

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