Die Gerechten
es sich an. Er glaubte zu ersticken.
Als er wieder hochkam, schnappte er nach Luft und hustete gleichzeitig, ein Doppelreflex wie ein Brechreiz. Aber gleich drückten sie ihn wieder hinunter, und er tauchte von neuem ein.
Diesmal war es die Kälte: Seine Augen schienen in den Höhlen zu schrumpfen, um sich davor zu schützen, und sein ganzes Kreislaufsystem schrie auf unter dem Schock dieser radikalen Temperaturveränderung.
Was war das nur? Ein Teich? Ein Eisschrank? Ein Fluss? Eine Toilette? Die Augenbinde war durchnässt, aber sie lockerte sich nicht – im Gegenteil, das Eis schien sie mit seinen Lidern zu verschweißen.
»So, Tom«, sagte die Stimme. Das Eiswasser in seinen Ohren verzerrte ihr Timbre. »Wollen wir jetzt offen miteinander sprechen?«
Statt zu antworten, spuckte Will einen Mundvoll Wasser aus, um Platz zu schaffen für das nächste, unausweichliche Untertauchen.
»Ich glaube, das ist das zweite Mal, dass Sie heute in der Mikwe sind. Sie werden richtig fromm, wie? Und sicher hat Shimon Shmuel ihnen Sinn und Zweck der Mikwe erklärt. Sie ist ein Ort der Läuterung, der Reinigung. Wir treten ein, bedeckt von den Sünden unseres Alltags, und wenn wir herauskommen, sind wir tahor. rein. Wir sind unbefleckt von jeder Sünde, von Lüge und Betrug. Können Sie mir folgen, Tom?«
Will fröstelte. Sein Hemd war durchnässt, und eisige Rinnsale liefen ihm über Brust und Rücken. Seine Zähne fingen an zu klappern.
»Ich will damit sagen: Ich bestehe jetzt auf der Wahrheit. Und wenn zwei oder drei Bäder in dieser Mikwe unter freiem Himmel, gefüllt mit reinstem Regenwasser, nicht genügen, um die Wahrheit ans Licht zu bringen, dann werden fünf oder sechs oder sieben es sicher können. Wir sind geduldig. Wir werden Sie in dieses eisige Wasser tauchen, bis Sie offen und ehrlich mit uns umgehen. Haben Sie verstanden?«
Anscheinend hatte er ein stummes Zeichen gegeben, denn wieder drückten sie ihn unter Wasser. Die beißende Kälte drang unter seine Haut und bis in seine Knochen, und selbst diese schienen sich zusammenzuziehen, als könnten sie sich vor der Kälte schützen, indem sie sich kleiner machten.
»Für wen arbeiten Sie, Tom? Wer hat Sie hergeschickt?«
»Ich bin Journalist«, brachte er hervor, und er erkannte seine Stimme kaum wieder. Die Kälte ließ sie weinerlich klingen.
»Das haben Sie schon gesagt, aber wer hat Sie hergeschickt? Warum sind Sie hier?«
»Das hab ich Ihnen schon gesagt.«
Noch einmal drückten sie ihn unter Wasser, tiefer jetzt. Hals, Schultern, Brust und Bauch tauchten unter, und das Wasser sickerte durch seinen Hosenbund in seine Shorts. Die eisige Feuchte erreichte seinen Unterleib.
Er wusste nicht, was er sagen sollte. Verzweifelt wünschte er sich, es möge aufhören. Er sehnte sich nach einem Handtuch, um Gesicht und Schultern zu trocknen und zu spüren, wie die Wärme in seinen Körper zurückkehrte.
Aber was konnte er tun? Wenn er die Wahrheit sagte, würde er sich und Beth in noch größere Gefahr bringen. Die Kidnapper hatten sich klar ausgedrückt: Keine Polizei. Das galt sicher genauso für private Rettungseinsätze. Sie waren gewalttätige Leute, die es ernst meinten, und er würde zugeben, dass er sich ihren Anweisungen widersetzt hatte. Er würde gestehen, dass er wirklich gelogen hatte. Warum sie Beth entführt hatten, war ihm ein Rätsel, aber eines wusste er: Seine Anwesenheit hier gehörte nicht zu ihrem Plan. Wenn sie ihr nicht schon etwas angetan hatten, würde sein Erscheinen hier dafür sorgen, dass sie es taten.
Andererseits erschien es aussichtslos, weiter darauf zu beharren, dass er Tom Mitchell sei. Er konnte ihnen keine weiteren Informationen geben, weil es keine gab. Mitchell war eine Fiktion, und der Rebbe ahnte es. Selbst wenn Will die Kraft hätte, dem Druck zu widerstehen – irgendwann würde er einknicken, weil seine Geschichte nicht standhielt. So ging es ihm durch den Kopf, während die Hände ihn in das kalte Wasser drückten.
»Genug. Es reicht«, befahl die Stimme. »Vielleicht sollte ich Ihnen noch ein bisschen über das Judentum erklären.«
Will schnappte nach Luft und verstand kaum, was er hörte, so laut war die Explosion des Sauerstoffs in seiner Lunge. So lange hatten sie ihn noch nie untergetaucht.
»Das Judentum ist mit größter Entschiedenheit gegen jeden Mord. Du sollst nicht töten. Das ist das fünfte Gebot. Und es bedeutet, dass ein Mord unter keinen Umständen erlaubt ist.« Eine lange Pause folgte,
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