Die Gerechten
ist als Sie oder ich oder Ihre Frau. In gewisser Weise hat es mit einer uralten Geschichte zu tun, von der niemand sich hätte vorstellen können, dass sie je eine solche Wendung nimmt. Niemand hat es je vorausgesagt. Es gab keinen Notfallplan. Nichts in unseren heiligen Texten, das uns darauf vorbereitet hätte – zumindest nichts, was wir bisher gefunden haben. Und glauben Sie mir, wir suchen danach.«
Will hatte keine Ahnung, wovon der Mann redete. Was sollte dieses Gefasel von einer »uralten Geschichte«? Zum ersten Mal fragte er sich, ob diese Chassiden vielleicht irgendwelchen Wahnvorstellungen anhingen. Er hatte sie ja am Abend gesehen, fortgerissen von ekstatischer Verehrung für ihren Meister, den sie als ihren Messias anbeteten. War es nicht möglich, dass sie in eine Art kollektiven Wahn verfallen waren und dass dieser Mann, ihr Anführer, der Wahnsinnigste von allen war?
»Ich wünschte, ich könnte Ihnen mehr sagen, aber es steht zu viel auf dem Spiel. Wir müssen es in Ordnung bringen, Mr. Monroe, und wir haben nicht viel Zeit. Welcher Tag ist heute? Schabbat tschuvah? Wir haben nur vier Tage. Und deshalb darf ich kein Risiko eingehen.«
»Was soll das heißen, es steht zu viel auf dem Spiel?«
»Ich glaube, es wird Ihnen nicht weiterhelfen, wenn ich mehr darüber sage, Will. Schon, weil ich vermute, dass Sie mir kein Wort glauben werden.«
»Na, wenn Sie damit meinen, dass ich wohl kaum Vertrauen zu einem Mann haben werde, der mich beinahe umgebracht hätte, dann haben Sie Recht.«
»Das verstehe ich. Und eines Tages – sehr bald, nehme ich an – werden Sie verstehen, warum wir tun mussten, was wir eben getan haben. Alles wird klar werden. So ist das mit diesen Dingen. Und ich habe gemeint, was ich gesagt habe. Ich fürchtete, Sie seien ein FBI-Agent, und als ich bestätigt sah, dass Sie keiner waren, fürchtete ich, Sie könnten noch etwas viel Schlimmeres sein.«
»Was hätten Sie denn vom FBI zu befürchten? Und was fürchten Sie noch mehr als das FBI? Was treiben Sie denn hier?«
»Ich sehe, warum Sie Journalist sind, Will: Fragen über Fragen! Sie würden sich auch für unsere Arbeit gut eignen: Auch beim Studium der Thora geht es nur darum, die richtigen Fragen zu stellen. Aber ich fürchte, unser Frage-und-Antwort-Spiel ist für heute zu Ende. Es wird Zeit, dass wir uns verabschieden.«
»Das ist alles? Dabei wollen Sie es belassen? Sie werden mir nicht sagen, was hier vorgeht?«
»Nein, das kann ich nicht riskieren. Ich werde Ihnen ein paar Dinge sagen, die Sie sich merken können. Sie können sie später aufschreiben, wenn Sie wollen. Erstens: Diese Sache ist größer als irgendeiner von uns. Alles, woran wir glauben, alles, woran Sie glauben, steht auf dem Spiel. Das Leben an sich. Größer könnte der Einsatz nicht sein.
Zweitens: Ihre Frau ist in Sicherheit, solange Sie ihr Leben nicht durch Unbedachtheit in Gefahr bringen. Ich warne Sie eindringlich davor, nicht nur um Ihrer selbst, sondern um unser aller willen. Obwohl Sie sie lieben und beschützen wollen, beschwöre ich Sie, mir zu glauben, dass Sie als liebender Ehemann nichts Besseres für sie tun können, als sich fern zu halten. Ziehen Sie sich zurück, und mischen Sie sich nicht ein. Tun Sie es doch, kann ich nichts garantieren, weder für Sie beide noch für irgendjemanden sonst.
Und drittens: Ich erwarte nicht, dass Sie es verstehen. Sie sind ganz zufällig in all das hineinspaziert. Vielleicht nicht zufällig, sondern durch eine Reihe von Schritten, die nur unser Schöpfer ganz versteht. Aber das ist das Schwerste von allem: Ich bitte Sie, Dinge zu glauben, die Sie nicht begreifen können. Mir zu vertrauen, weil ich Sie darum bitte. Ich weiß nicht, ob Sie ein gläubiger Mensch sind oder nicht, Will, aber der Glaube funktioniert auf diese Weise. Wir müssen an Gott glauben, selbst wenn wir nicht die leiseste Ahnung haben, was er mit dem Universum vorhat. Wir müssen Vorschriften befolgen, die scheinbar keinen Sinn haben, einfach weil wir glauben. D^s kann nicht jeder, Will. Um zu glauben, muss man stark sein. Aber genau das brauche ich von Ihnen: den Glauben und das Vertrauen darauf, dass ich und die Leute, die Sie hier sehen, nur für das Gute arbeiten.«
»Selbst wenn Sie dabei einen Unschuldigen wie mich ertränken?«
»Selbst wenn der Preis sehr hoch ist, jawohl. Wir sind entschlossen, Leben zu retten, Will, und für diesen Zweck ist fast jedes Mittel erlaubt. Pikuach nefesh. Jetzt muss ich mich
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