Die Gerechten
geweigert.
Will zählte die Minuten. Er starrte auf den Sekundenzeiger, der über das Zifferblatt wanderte. TC wusste nicht, was sie sagen sollte.
Eine Minute verging, dann noch eine. Ein dumpfer Schmerz erwachte in seiner Stirn; zu lange hatte er die Muskeln in seinem Gesicht angespannt. Das Ende des Plastikstifts, auf dem er kaute, brach zwischen seinen Zähnen ab.
Vier Minuten. Will stand auf, streckte sich und bog den Kopf zur linken, dann zur rechten Schulter. Es knackte laut in seinem Nacken. Er schaute das Telefon an, und vier Minuten und fünfzig Sekunden, nachdem er aufgelegt hatte, wählte er die Nummer noch einmal.
»Will Monroe. Lassen Sie mich mit ihr sprechen.«
Statt einer Antwort hörte er ein paar Klicklaute, als werde der Anruf weiterverbunden. Jemand atmete, und dann: »Will? Will, ich bin’s. Beth –«
»Beth, Gott sei Dank, du bist es. Oh, Liebste, ist alles okay? Ist dir was passiert?«
Stille – und dann klickte es dreimal. »Beth?«
»Ich musste die Verbindung leider trennen. Aber jetzt haben Sie ihre Stimme gehört, und Sie wissen, dass sie –«
»Herrgott, Sie haben uns ja kaum eine Sekunde Zeit gelassen.« Will schlug mit der Faust auf den Tisch, und TC sprang erschrocken zurück. Ein Tumult von Gefühlen durchströmte ihn. Weniger als eine Sekunde lang hatte er nur Erleichterung und Freude verspürt: Es war Beths Stimme, ganz unverkennbar. Bei ihrem bloßen Klang bekam er weiche Knie. Und dann war sie weg gewesen, abgeschnitten, bevor er Gelegenheit hatte, ihr zu sagen, dass er sie liebte.
»Ich konnte nicht riskieren, Ihnen mehr Zeit zu geben. Es tut mir ehrlich Leid. Aber ich habe getan, was Sie wollten. Sie haben die Stimme Ihrer Frau gehört.«
»Sie müssen mir JETZT versprechen, dass ihr kein Haar gekrümmt wird.«
»Ich habe schon gestern Abend versucht, es Ihnen zu erklären, Mr. Monroe. Will. Diese Sache liegt nicht allein in unseren Händen, nicht in meinen, nicht in Ihren. Hier sind sehr viel größere Mächte im Spiel. Es ist etwas, das die Menschheit seit Jahrtausenden befürchtet.«
»Ich verstehe nicht, was das heißen soll.«
»Nein, und das kann ich Ihnen nicht verdenken. Es gibt nicht viele, die es verstehen würden, und deshalb können wir es auch der Polizei nicht erklären, so gern wir alle es täten. Sie würde es sicher nicht verstehen. Aus irgendeinem Grund hat Haschem es uns überlassen, das Problem zu lösen.«
»Woher weiß ich, dass Sie nicht versuchen, mich mit einem Trick zum Schweigen zu bringen? Woher weiß ich, dass Sie nicht vorhaben, meine Frau umzubringen, wie Sie diesen Mann in Bangkok umgebracht haben?«
»Ah, nichts schmerzt mich mehr als das, was dort vorgefallen ist. Das Herz eines jeden Juden weint vor Verzweiflung darüber.« Er schwieg. Will ließ ihn schweigen. Abwarten, bis der Interviewpartner die Leere ausfüllt …
»Ich werde ein Risiko eingehen, Mr. Monroe. Ich hoffe, Sie fassen es so auf, wie es gemeint ist: als Geste des Vertrauens von meiner Seite aus. Ich werde Ihnen ein Geheimnis anvertrauen, das Sie leicht gegen mich verwenden könnten. Indem ich es Ihnen offenbare, zeige ich Ihnen ein gewisses Maß an Vertrauen. Ich hoffe, dass Sie danach auch mir etwas mehr Vertrauen entgegenbringen können. Verstehen Sie?«
»Ich verstehe.«
»Was in Bangkok geschehen ist, war ein Unfall. Es stimmt, wir wollten Mr. Samak in Gewahrsam nehmen, wie wir es mit Ihrer Frau getan haben, aber wir hatten keineswegs die Absicht, ihn zu töten. Gott behüte.« TC war um den Tisch herumgekommen; sie saß dicht neben Will und drückte das Ohr an die Rückseite seines Handys.
»Was wir nicht wussten, was wir nicht wissen konnten: Mr. Samak hatte ein schwaches Herz. Ein kräftiger Mann, aber ein schrecklich schwaches Herz. Die … Maßnahmen, die wir ergreifen mussten, um ihn in Gewahrsam zu nehmen, waren leider zu viel für ihn.«
Einen kurzen Augenblick lang dachte Will wie ein Journalist: Er hatte dem Mann ein Geständnis abgerungen. Kein Mordgeständnis vielleicht, aber einen Totschlag hatte er zugegeben. Es erfüllte ihn mit professionellem Stolz, dass die New Yorker Polizei trotz intensiver Befragungen wahrscheinlich kein so gutes Resultat erzielt hatte.
»So ist es gewesen, Mr. Monroe, und auch wenn es Sie erstaunt, das zu hören: Ich habe Ihnen bei allen unseren bisherigen Begegnungen nur die Wahrheit gesagt. Ich wiederhole noch einmal, ich gehe ein großes Risiko ein, indem ich so offen mit Ihnen spreche. Aber irgendetwas
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