Die Gerechten
wartete. TC saß ihm gegenüber; sie hatte die Knie angezogen und wiegte sich vor und zurück. Will wusste nicht, ob er sie je so nervös gesehen hatte, dass sie diese Embryonalstellung einnahm. Das Publikum bei McDonald’s hatte sich geändert. Die Stadtstreicher und vor sich hin murmelnden Obdachlosen waren verschwunden, ersetzt durch überwiegend männliche Twenty-somethings, die noch einmal auftankten, bevor sie durch die Bars zogen. Das Rotlicht leuchtete wieder.
Sie haben alles zu verlieren. Sie könnten sie verlieren.
Wiederum überlegte Will nicht lange. Das war es, was er von Anfang an gewollt hatte: die direkte Konfrontation mit den Entführern. Als er ihnen am Abend zuvor begegnet war, hatte er sich als ein anderer ausgegeben. Er hatte höflich sein müssen. Jetzt, da das Versteckspiel vorbei war, konnte er sie bei den Hörnern packen.
Rührt sie an, und ihr habt zwei Morde am Hals. Mein Beweismaterial wird euch das Genick brechen. Lasst sie frei, oder ich nagle euch fest.
Diesmal dauerte die Pause quälend lange. Dann leuchtete das Rodicht, und Will stürzte sich auf das kleine blaue Gerät.
Medikamente zu Tiefstpreisen für jeden Bedarf. Wir liefern. Spam.
Ein paar Minuten vergingen. Dann:
Rufen Sie jetzt 718-943-77 70 an. Benutzen Sie kein Aufzeichnungsgerät. Wir werden es merken, wenn Sie es tun.
Will malte sich aus, was am anderen Ende vorging. Zweifellos saß einer der Gorillas, Mosche Menachem oder Zvi Jehuda, im Net Spot und las und schrieb die Mails, wie es der Boss am Telefon ihm auftrug. Und jetzt hatte der Boss etwas zu sagen, das er der E-Mail nicht anvertrauen wollte, nicht einmal unter dieser Tarnadresse. Gut, dachte Will. Sein Gegner zeigte zum allerersten Mal eine Schwäche. Er sah TC an, die an den Fingernägeln kaute.
Er zog sein Handy heraus und tippte langsam und sorgfältig wie ein Chirurg die Nummer ein. Seine Hände zitterten. Dieser Mann machte ihm Angst.
Es klingelte nur einmal. Jemand nahm den Hörer ab, sagte aber kein Wort. Er würde den ersten Schritt tun müssen.
»Hier ist Will Monroe. Sie haben mich gebeten anzurufen.«
»Ja, Will. Zunächst möchte ich für das, was gestern passiert ist, um Verzeihung bitten. Ein schlimmer Fall von Verwechslung – zum Teil dadurch herbeigeführt, dass Sie den Fehler begangen haben, Ihre Identität zu verschleiern. Ich halte es für richtig, über die derzeitige Situation zu reden.«
»Da haben Sie verdammt Recht. Sie müssen mir meine Frau zurückgeben, oder ich sorge dafür, dass wegen zweifachen Mordes gegen Sie ermittelt wird.«
»Beruhigen Sie sich, Mr. Monroe.«
»Ich habe keine Lust, mich zu beruhigen, Rabbi. Gestern hätten Sie mich beinahe umgebracht, und Sie haben ohne Grund meine Frau entführt. Ich bin bis jetzt nur deshalb nicht zur Polizei gegangen, weil Sie angedroht haben, meine Frau umzubringen. Aber jetzt kann ich es tun und Sie in dem Fall in Bangkok zusätzlich belasten, indem ich den Ermittlungsbehörden sage, dass Sie bereits hier in New York jemanden entführt haben. Wenn Sie meine Frau dann umbringen, verstricken Sie sich nur noch tiefer.« Will war sehr zufrieden mit seinem Vortrag; er klang vernünftiger, als er selbst erwartet hatte.
»Gut, ich werde eine Vereinbarung mit Ihnen treffen. Wenn Sie nichts sagen und mit niemandem sprechen, werden wir unser Bestes tun, um Beth am Leben zu halten.« Beth. Es klang merkwürdig, den Namen von dieser Baritonstimme zu hören, deren Timbre durch die metallische Kompression des Telefons kaum verändert war.
»Was heißt ›unser Bestes‹? Wer ist denn da noch beteiligt? Sie haben das alles getan, und Sie sollten die Verantwortung dafür übernehmen. Entweder garantieren Sie mir für ihre Sicherheit oder Sie tun es nicht.«
Ganz ungeplant rief dieser Satz einen neuen Gedanken hervor, und er sprach ihn aus, ehe er vollendet war.
»Ich will mit meiner Frau sprechen.«
»Tut mir Leid.«
»Ich will sofort mit ihr sprechen. Ich will ihre Stimme hören. Zum Beweis dafür, dass sie … unversehrt ist.«
»Ich glaube, das ist keine gute Idee.«
»Es ist mir egal, was Sie glauben. Und das werde ich der Polizei nur zu gern sagen. Ich will ihre Stimme hören.«
»Das wird ein Weilchen dauern.«
»Ich rufe Sie in fünf Minuten wieder an.«
Will legte auf und atmete aus, als habe er den Atem angehalten. Das Blut pochte in seinen Adern. Er war überrascht von seiner eigenen Bestimmtheit. Aber anscheinend hatte es funktioniert; der Rabbi hatte sich nicht
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