Die Gerechten
sollte es denn sonst sein?«
»Lass mich in Ruhe damit, Will.«
Er konnte ihr nicht verdenken, dass sie genervt war. Er wusste, er benahm sich unerträglich, wenn er Zorn, Angst und Erschöpfung an ihr ausließ. Sie brauchte sich das alles nicht bieten zu lassen. Sie konnte einfach weggehen – und ihn hilflos sitzen lassen.
Er wollte sich entschuldigen, aber es war zu spät. Sie hatte sich abgewandt und vermied klug jede weitere Auseinandersetzung. Schade, dass sie diese Klugheit beide nie besessen hatten, als sie noch ein Liebespaar waren.
Keine zwei Minuten später kam die nächste Nachricht:
Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.
Und dreißig Sekunden danach:
Kleine Ursache, große Wirkung.
Himmel, der Kerl ging einem auf die Nerven. Die Mühe, die er auf diese Messages verwandte, die Sprüche, die er da zusammentippte, wenn er doch nichts weiter tun musste, als ein paar einfache Worte zu schreiben: die Adresse, wo Beth zu finden war. In Will stieg die Wut tief aus seinem Körper auf, bis er die Zornesadern an seinem Hals spürte.
Die letzte SMS hatte er TC noch gar nicht gezeigt, als er schon zurück schrieb: Schluss mit diesen albernen Spielen. Sie wissen, was ich haben will.
Kaum hatte er die Antwort abgeschickt, bereute er es. Was, wenn er Josef Jitzhok damit verärgert hatte? TC hatte Recht: Er war alles, was sie hatten. Und schlimmer noch: Wenn diese Antwort von den Hardlinern in Crown Heights abgefangen wurde, würden sie augenblicklich wissen, was JJ trieb und dass er mit dem Feind kommunizierte, und dann würden sie ihn bestrafen. Will sah ihn vor sich – in einem Hausdurchgang am Eastern Parkway, über sein Handy gebeugt, vielleicht mit einem Gebetsschal getarnt. Zwei Männer, die ihn von hinten packten, ihm das Telefon aus der Hand rissen, und ihn zum Verhör zum Rabbi schleiften.
Aber zugleich fühlte er neue Energie. Die Passivität der Situation war unerträglich – einfach dazusitzen und mit ausgestreckten Händen darauf zu warten, dass die Hinweise wie Brosamen vom Tisch dieser Leute fielen. Es tat gut, sich zur Wehr zu setzen.
Allmählich wurde der Himmel draußen dunkel. Will ging auf und ab und hielt den Blackberry mit feuchter Hand umklammert. Um neunzehn Uhr vierzig nickte TC ihm zu: Der Sabbat war zu Ende. Sofort erwartete Will, dass das rote Licht blinkte. Nein, nein, meinte TC, sie sollten ihnen noch mindestens eine halbe Stunde Zeit geben. Nach dem Sabbat kam die Havdalah- Zeremonie, bei der man den Tag der Ruhe mit Wein, Gewürzen und einer geflochtenen Kerze verabschiedete. Dann ging man von der Synagoge nach Hause, wo man noch einmal Havdalah feierte. Die meisten Leute würden sich danach vermutlich frisch machen wollen. Und selbst wenn sie Wills Nachricht auf einem Computer zu Hause oder im Büro lasen, würden sie dort nicht antworten, denn dort wären sie zu leicht aufzuspüren – nicht von Will natürlich, aber von der Polizei. Also mussten sie wieder ins Net Spot. Das alles würde mindestens eine Stunde dauern, und selbst das war optimistisch kalkuliert, warnte TC. Will wusste ja, dass er ihnen eine Mail geschickt hatte, aber sie wussten es nicht, und warum sollten sie sich mit dem Nachsehen beeilen?
Aber vielleicht war heute alles anders. In Crown Heights wimmelte es von Kriminalpolizei, die in Zusammenarbeit mit Interpol in einem Mordfall ermittelte. Der Rabbi, der Will ausgequetscht hatte, würde von seinem gewohnten Ritual abweichen müssen. Er würde Fragen beantworten, und dabei würde es nicht um die richtigen Abmessungen eines talmudisch korrekten Herdes gehen. Man würde ihn verhören – und zwar unter Druck. (Die Vorstellung dieser Rollenumkehr gefiel Will.) Wenn eine solche Atmosphäre dort herrschte, dann hätten sie vermutlich hundert Gründe, so schnell wie möglich ihre E-Mail zu checken. Sie warteten vielleicht nicht auf eine Nachricht von Will, aber sie mussten mit ihren Leuten in Bangkok kommunizieren. Vermutlich würden sie ihre Laptops hochfahren, sowie es theologisch vertretbar war.
Um acht bestätigte sich Wills Ahnung. Zwanzig Minuten nach Sonnenuntergang blinkte das Rotlicht an seinem Blackberry. Will öffnete die E-Mail und sah die gleiche hieroglyphische Schrift, die er schon kannte.
Betreff: Beth.
Sie verlieren den Boden unter den Füßen. Ertrinken Sie nicht.
26
SAMSTAG, 20.01 UHR, MANHATTAN
Er hatte keine Zeit für ein Seminar mit TC. Er antwortete sofort.
Ich könnte direkt zur Polizei gehen. Was hab ich zu verlieren?
Er
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