Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Gerechten

Die Gerechten

Titel: Die Gerechten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bourne
Vom Netzwerk:
erkannte sie wieder: Kapitel zehn, Buch der Sprüche.
    TC hatte ihren Skizzenblock auf dem Schoß, und sie betrachtete das Muster, in dem sie die Zettel angeordnet hatte. Will hockte sich neben sie und betrachtete ihr Werk.
    Sie hatte sie wieder zu Gruppen geordnet, aber diesmal sah Will nicht sofort, nach welchem Prinzip. Er suchte nach dem Wort »gerecht«, aber er fand es in mehreren Gruppen. Allmählich dämmerte ihm, wie hart sie arbeitete. Sie hatten einander seit vier Jahren nicht gesehen, und trotzdem stürzte sie sich ohne Zögern auf diese Aufgabe, als ginge es um ihre eigene Familie, als wäre es einer ihrer Lieben, dessen Leben da auf dem Spiel stand.
    »Danke«, sagte er leise, beinahe flüsternd. Er war so froh, dass er nicht allein war, dass er auf dieser ungewollten Suche eine Partnerin hatte, eine Verbündete, der er vollkommen vertraute. Er sah das dicht beschriebene Blatt auf ihrem Skizzenblock, sah die Post-its ringsum auf dem Hartholzboden und fühlte überwältigende Dankbarkeit gegen diese Frau, die ihm nicht nur emotionalen Halt, sondern außerdem einen rasiermesserscharfen Verstand bot. Es war, als habe sie ihn gerettet.
    Beinahe unwillkürlich hob er die Hand und berührte ihren Nacken; seine Handfläche lag auf ihrer Haut, und die Fingerrücken streiften ihr Haar. Sie hatte den Kopf gesenkt wie ein schüchternes Schulmädchen, das einen Preis entgegennahm, aber jetzt hob sie ihn und sah ihm in die Augen. Und wieder ging ohne sein Zutun ein Strom durch seine Hand, und er zog sie dichter an sich heran.
    Sie bewegte sich, er bewegte sich, und dann berührten ihre Lippen einander in einem federleichten Kuss. Er roch ihre Haut – ein Duft, der seine Muskeln schwächte und zugleich sein Blut rauschen ließ. Es war ein vertrautes Gefühl, wie er es mit TC schon tausendmal verspürt hatte.
    Sein Inneres schien zu schmelzen, während ihn Erregung durchfuhr.
    Plötzlich hielt sie inne und packte seinen Arm mit einer Eindringlichkeit, die nichts mit Begierde zu tun hatte.
    »Sschh! Was ist das?«
    Es war ein metallisches Klappern, das jetzt wieder zu hören war. Es schien aus dem Apartment zu kommen. Beide saßen bewegungslos da. Wills Hand lag immer noch an TCs Hinterkopf, und er kam zu sich. Was um alles in der Welt tat er hier? Beth saß gefangen in irgendeinem gottverlassenen Kerkerloch, und er trieb es hier mit seiner Exfreundin auf dem Fußboden ihres Apartments. Die Scham gerann in seinem Magen, und ihn ekelte vor sich selbst.
    Er nahm die Hand weg und wich zurück. Er war erschöpft, sagte er sich, und seine seelische Verfassung war kläglich. Es war ein Reflex gewesen, ein Hilfeschrei, die Tat eines Verzweifelten, der menschlichen Trost gesucht hatte. Es war seine Dankbarkeit gegen TC, es war die Vertrautheit der ehemaligen Geliebten, es war ein Fehltritt, ein Augenblick des Irreseins. Es war das unglückselige Nebenprodukt einer Krise. Alle diese Erklärungen gingen ihm durch den Kopf, und er wusste, dass sie alle stimmten. Aber überzeugen konnten sie niemanden, ihn am allerwenigsten.
    TC straffte sich wieder und packte Wills Arm fester. Das Geräusch war wieder zu hören, ein metallisches Klirren. War jemand in der Wohnung, mit einer Elektrosäge, die er in eine Decke eingewickelt hatte?
    Will sprang auf und stürzte zur Couch neben der Wohnungstür, wo er seine Jacke abgelegt hatte. Er schob die Hand in die Jackentasche und hielt sein Handy hoch, sodass TC es sehen konnte. Der Vibrationsalarm hatte den Schlüsselbund klirren lassen.
    »Verdammt, da hat jemand angerufen.«
    Will wählte die Nummer der Voicemail. Sie haben eine neue Nachricht. Sein Herz pochte. Das war der erste Anruf, den er versäumt hatte, seit Beth verschwunden war. Wenn es nun eine wichtige Neuigkeit gewesen war? Oder Beth selbst, die sich von ihren Ketten befreit und auf Händen und Knien zu einem Telefon gekrochen war, um ihren Mann anzurufen, der sich nicht meldete, weil er gerade mit seiner Exfreundin herumknutschte? Will war entsetzt über sich selbst.
    Endlich wurde die Nachricht abgespielt.
    »Hey, Superman.« Es war Jay Newell. »Keine Ahnung, worum es hier geht, und man wird mir den Arsch aufreißen, wenn bekannt wird, dass ich auch nur in deine Richtung gefurzt habe. Es bleibt also streng unter uns, okay? Capito? Also, jetzt kommt’s. In dem Obduktionsbericht über deinen Freund Howard Macrae heißt es – Trommelwirbel …: ›Einstichwunde am rechten Oberschenkel, vermutlich …‹ – und jetzt pass auf:

Weitere Kostenlose Bücher