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Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Pötzl
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»Eberleute« sieht.
    Wohl die erstaunlichste Eigenschaft des mächtigen Odin ist, dass er und seinesgleichen nicht unsterblich sind. Über den Göttern waltet das Schicksal, das von drei allwissenden Frauen am Fuß der Weltesche Yggdrasil gelenkt wird: den Nornen. Dieses Schicksal verfügt: Den Göttern wie den Germanen ist der Weltuntergang gewiss.
    Odin ist der Weiseste der Asen, jenes Götterkollektivs, das den Himmel beherrscht und mit den Wanen konkurriert, den Schutzherren des Ackers. Den Streit gewinnen zwar die Asen, doch Ober-Ase Odin wird von einem Ungeheuer, dem Fenriswolf, getötet. Dieses Fabeltier kann seinen Rachen so weit aufreißen, dass die Schnauze den Himmel, der Kiefer die Erde berührt. Auf den späteren Endkampf zwischen Göttern und Riesen folgt endzeitliches Grauen: »Die Sonne wird schwarz, es sinkt die Erde ins Meer. Vom Himmel fallen helle Sterne; es sprüht der Dampf, und der Spender des Lebens, der Himmel, leckt die heiße Lohe.«
    Die Edda, die das Ende so ausmalt, weissagt aber auch, dass ein neuer Äon folgen wird. Aus den Fluten steigt eine neue, vom Bösen gereinigte Welt: »Unbesät werden hochwachsen die Äcker, es heilt alles Unheil.« Dann wird Balder, der lichte Frühlingsgott, in geläuterter Form ebenso zurückkehren wie sein Vater Odin.

Tote im Torf
    Moorleichen sind gut konserviert, aber schwer zu deuten. Viele zeigen Spuren von Gewalt. Handelte es sich um Sklaven, Kultopfer, hingerichtete Verbrecher?
    Von Frank Thadeusz
    »Pass up, dor kümmt en Hirschbein«, rief ein Torfstecher seinen Kollegen zu, die im Mai 1952 im Domslandmoor unweit des Ortes Windeby in Schleswig-Holstein zunächst einen menschlichen Unterschenkel aus dem Erdreich bargen. Erst als auch eine Hand aus dem Morast auftauchte, wurde den Männern klar, dass sie auf die Überreste eines Menschen gestoßen waren. Der Fund entwickelte sich zur archäologischen Sensation; als »Mädchen von Windeby« erlangte die im Moor konservierte Leiche Berühmtheit. Denn Fachleute erblickten in der Toten im Torf alsbald ein Opfer des altnordischen Justizapparats im 1. Jahrhundert vor oder nach Christus.
    Beunruhigt von zunehmender Dekadenz in der Heimat, berichtete der römische Geschichtsschreiber Publius Cornelius Tacitus fasziniert von der rauen Gerichtspraxis der Germanen: »Für die Preisgabe der Keuschheit gibt es keine Nachsicht«, notierte der Römer. Etliche Details des Windeby-Funds wiesen darauf hin, dass es sich bei der geborgenen Frau um ein besonders drastisches Beispiel des germanischen Strafrechts handelte. So war der Daumen der Toten zwischen Zeige- und Mittelfinger geschoben – ein Symbol der Unkeuschheit, das den Germanen als Feige bekannt war. Offenkundig war der Verurteilten von ihren Häschern das Haar einseitig geschoren worden, ein Knüppel in der Nähe des Leichnams schien auf vorangegangene Martern hinzudeuten – ganz so, wie Tacitus es in seiner Schrift »Germania« untreuen Frauen in Aussicht gestellt hatte: Der Mann »schneidet der Ehebrecherin das Haar ab, jagt sie nackt vor den Augen der Verwandten aus dem Hause und treibt sie mit Rutenstreifen durch das ganze Dorf«.
    Misslich nur, dass sich dem Leichnam rund 50 Jahre nach seiner Bergung aus dem Sickergrund eindeutig ein männliches Geschlecht zuordnen ließ. Zuvor schon hatte sich erwiesen, dass die vermeintlich obszöne Geste das Ergebnis einer Manipulation war. So rätseln Forscher weiter über jene vor langer Zeit Heimgegangenen, die wie lederne Schläuche im Boden liegen. Weit über hundert Moorleichenfunde zählen Experten allein in Deutschland. Die Verstorbenen endeten in jenen gewaltigen Hochmooren, die sich vor 2000 Jahren im germanischen Hinterland an der Nordseeküste erstreckten. Wer sich allein in diesen Sümpfen verirrte, musste mit seinem fast sicheren Ende rechnen. Der weder flüssige noch feste Schlick aus fauligen Pflanzen und Torfschlamm bietet kaum Halt. Knapp unter der Oberfläche schwärt eine faulige Brühe, die im Sommer wie Winter bitterkalt ist. Versinkende sind in dieser Modergrube schon nach kurzer Zeit bewegungsunfähig.
    Gleichwohl bietet dieses feucht-stickige Milieu auch beste Bedingungen für die Konservierung der Toten. Archäologen waren erfreut über bestens erhaltene Extremitäten, die den Blick auf Tätowierungen oder Verstümmelungen freigaben. In den Mägen der Hingeschiedenen entdeckten die Forscher Apfelkerne und Reste eines Breis aus Flohknöterich.
    Der sogenannte Rote Franz war im Juni 1900

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