Die gesandte der Köingin Tess 2
erklärte Kavenlow, dass wir uns in einigen Tagen vermutlich eine Tagesreise auf See nördlich oder südlich der Hauptstadt befinden würden und dass er alles unternehmen sollte, um uns zu retten. Sie und Alex hätten entschieden, dass unter keinen Umständen ein Lösegeld gezahlt werden solle, weil das nur zu weiteren Entführungsversuchen ermuntern würde. Sollte es zum Schlimmsten kommen, so bat sie darum, dem König von Misdev zu berichten, dass sich der wahre Wert des Misdever Blutes mehr als erwiesen habe und dass Alex von einer unmöglichen Überzahl und einer tödlichen Verwundung besiegt worden sei, ohne jedoch Schwäche zu zeigen. Sie sei stolz, an der Seite eines so edlen, tapferen Mannes und hervorragenden Schwertkämpfers gestorben zu sein. Ganz unten war das Wort »gemeinsam« durchgestrichen.
»Lies es mir vor!«, forderte Kapitän Rylan und stieß den Fuß in meine Rippen, so dass ich zusammenzuckte. Schmerz vernebelte mir den Blick, und ich schwankte im Sitzen.
»Da steht, dass wir entführt wurden und Lösegeld verlangt wird«, sagte ich und erschrak selbst über meine krächzende Stimme. »Eurem Mann soll ein Wagen voll Geld und Gewürzen übergeben werden, und falls sie ihn irgendwie belästigen, werdet Ihr ihnen unsere Köpfe schicken.« Ich blickte mit zusammengekniffenen Augen zu ihm auf. »Warum ist mein Name durchgestrichen?«
»Weil du nicht mit zurücksegelst«, antwortete er. »Du gehörst Duncan.« Sein Blick huschte zu Duncan hinüber, ohne dass man ihm die Lüge angesehen hätte. »Darüber kannst du dich mit ihm streiten.«
Er beugte sich vor, um mir den Brief aus der Hand zu reißen, und ich erlaubte mir den Gedanken, wie leicht es doch wäre, ihm mit dem Handballen die Nase zu brechen – wenn ich mich nur rühren könnte. Das Kinn sank mir auf die Brust, und ich konzentrierte mich darauf zu atmen. Selbst mit gesenktem Blick konnte ich den sicheren, selbstverliebten Gang beobachten, mit dem Kapitän Rylan klimpernd zum großen Kochfeuer schritt. Er brüllte den ganzen Weg entlang nach Smitty.
Duncan ließ sich neben mir nieder. Ich sah erst ihn an, dann an ihm vorbei zu Contessa und Alex hinüber. Ich lächelte sie hoffentlich ermunternd an. Contessa war gefesselt und konnte mich nicht erreichen. »Wässer?«, bat ich. Meine Kehle fühlte sich wund und rau an, und ich hielt den Atem an, um nicht husten zu müssen und mich damit versehentlich doch noch umzubringen.
Ich hielt die Schüssel mit der gesunden Hand, und Duncan legte die Finger auf meine, um mir zu helfen, weil ich wieder zu zittern begann. Die Schale kam mir furchtbar schwer vor, und während der ersten paar Schlucke beobachtete ich seine Augen.
Sein Blick war fest auf die Schüssel gerichtet, müde und besorgt. Schuldgefühle mischten sich in meinen Schmerz. Er war ein guter Mann. Ihm das Spiel zu verheimlichen, war eine Beleidigung. Sanft schob ich die Schüssel von mir, und Duncan ließ sie sinken.
»Tess, du wirst wieder gesund«, sagte er, und sein Lächeln drückte überwältigende Erleichterung aus.
»Duncan«, begann ich, »falls ich es nicht schaffe –«
»Psst«, raunte er. »Nicht doch.« Er rückte näher heran, und ein verschlagenes Glitzern glomm in seinen Augen auf. »Du gehörst jetzt mir, und du musst tun, was ich sage. Ich habe dich ehrlich gewonnen.«
Beinahe hätte ich aufgelacht, beherrschte mich aber, als der Schmerz sofort fester zupackte. Schwarze Flecken tanzten mir vor den Augen, und ich wurde schlagartig wieder ernst. Er griff nach meinem Verband, und ich wich verängstigt zurück.
»Lass mich nur danach sehen, Tess«, beharrte er mit gerunzelten Brauen. »Bisher gab es keine Entzündung. Es ist ein Wunder.«
»Ein kleines Wunder im Vergleich dazu, dass ich überhaupt noch lebe«, entgegnete ich, und Dankbarkeit wallte in mir auf. »Ich danke dir. Was du getan hast, hat mir vermutlich das Leben gerettet.«
Er zuckte mit den Schultern, und sein längliches Gesicht wirkte verlegen. »Ich habe nur daran gedacht, was du tun wolltest, als ich mich an einem deiner Pfeile gestochen hatte.«
»Das weißt du noch?«, fragte ich und dachte bei mir, dass Kavenlow wohl doch nicht so gut darin war, Erinnerungen zu manipulieren, wie er glaubte.
»Ich wäre beinahe gestorben.« Seine braunen Augen musterten aufmerksam meine Schulter, während er die Knoten löste, die mein Kleid verschlossen, und vorsichtig an dem Verband herumzupfte. »Glaubst du vielleicht, so etwas vergisst man so
Weitere Kostenlose Bücher