Die Geschichte eines Sommers
stärker wehgetan als erwartet. Noble fragte sich schon, ob er seinen alten Herrn etwa zu fest geschlagen hätte, da verpasste Samuel ihm einen weiteren kräftigen Hieb.
All das beobachtete Bernice von ihrem Platz auf der Schaukel aus, dann gingen Samuel, Willadee und die Kinder, alle gleichzeitig plappernd, die Treppe hinauf. Als sie auf der Veranda auf Bernice’ Höhe waren, erhob sich diese elegant und geschmeidig wie eine Katze. Sie trug ein elegantes Kleid aus einem weichen cremefarbenen Stoff, das sich an ihre Rundungen schmiegte, wenn sie sich bewegte. Und auch dann, wenn sie sich nicht bewegte. Alle blieben abrupt stehen. Bernice hatte so eine Wirkung auf Leute.
»Wie geht es dir, Bernice?«, fragte Samuel.
»Exzellent«, sagte Bernice, ihre Stimme war so warm und weich wie schmelzende Butter.
Willadee verdrehte die Augen und sagte langsam und schleppend: »Ich hab was auf dem Herd, Sam. Komm rein, wenn du so weit bist.« Damit ging sie ins Haus. So viel zum Thema Vertrauen.
»Wo ist denn dein Mann?«, fragte Samuel Bernice. Sie deutete mit einer vagen Geste auf den Hof. Samuel blickte in die Richtung, in die sie gezeigt hatte, und nickte, als wolle er zustimmen, dass Toy dort irgendwo war. »Ich hab gehört, dass er sich hier in den letzten Tagen um alles gekümmert hat.«
»Um so einiges, ja.«
Samuel ließ seinen Blick über Bernice’ Gesicht gleiten. Ohne Zuneigung und ohne Bosheit. Nur ein Blick, aus dem sprach, dass er wisse, worauf sie hinauswolle, aber nicht mitspielen werde. Mit diesem Blick sah er sie so lange an, bis sie wegschaute. Dann öffnete er die Fliegengittertür und winkte seine Kinder nach drinnen.
»Kommt rein, kommt rein, eure Mama wartet.«
»Und wie sie das tut, mein kleiner Prediger!«, rief Willadee erneut in schleppendem Tonfall.
Während des Abendessens fragten Swan, Noble und Bienville Samuel immer wieder, wohin sie denn nun umziehen würden, doch er hielt sie immer wieder hin. Das sah ihrem Vater überhaupt nicht ähnlich. Normalerweise konnte er es nicht erwarten, ihnen die Neuigkeiten zu erzählen und den Ort mit so viel Positivem auszuschmücken, wie er jedem hatte entlocken können, der schon mal dort gewesen war. Allerdings waren das meist nicht viele Leute, da die Orte normalerweise so klein waren, dass kaum jemand je dort gewesen oder auch nur mal durchgefahren war – bis auf den vorherigen Pastor, der in der Regel eher Warnungen als Lob dafür übrig hatte. Trotzdem schaffte es Samuel immer, ihnen etwas Gutes über den neuen Ort zu erzählen. Die Leute seien das Salz der Erde, die Landschaft ein göttlicher Anblick, die Kirche uralt, man munkele sogar, dass es in ihr Geheimgänge gäbe, auf dem Hof des Pfarrhauses könne man gut Theater spielen und so weiter und so fort.
An diesem Abend verhielt er sich jedoch anders. Allen fiel es auf, selbst Calla, Toy und Bernice machten fragende Gesichter.
»Ist irgendwas nicht in Ordnung, Sam?«, fragte Willadee.
»Ich wollte es erst dir und dann allen anderen sagen.«
Willadee reichte Toy die Schüssel mit den gesprenkelten Limabohnen. »Dann müssen sie uns ins Bayou-Gebiet schicken. Sonst waren wir schon überall.«
»Die schicken uns nicht ins Bayou«, sagte Samuel, stellte sein Teeglas ab und stützte beide Arme auf den Tisch. Alle Augen waren erwartungsvoll auf ihn gerichtet.
»Die schicken uns nirgendwohin.«
An diesem Abend tat Swan etwas Ungeheuerliches und ging nach dem Essen noch einmal aus dem Haus. Sie brauchte einen Ort, an dem sie über alles nachdenken konnte. Sie hätte sich gern auf die Hollywoodschaukel gesetzt, doch Tante Bernice würde sich dort wieder niederlassen, bevor man auch nur »Piep« sagen konnte. Sie nahm den Platz immer in Beschlag, sobald sie geholfen hatte, in der Küche aufzuräumen. Swan brauchte nie im Haushalt zu helfen, obwohl sie bedauernswerte Kinder in ihrem Alter kannte, bei denen das anders war. Doch Willadee war der Meinung, dass man nur ein Mal Kind war. Oma Calla hielt die Kindheit zwar für eine gute Zeit, um zu lernen, Verantwortung zu übernehmen, doch da ihre Enkelin einen fix und fertig machen konnte, hatte Oma Calla nie darauf bestanden, dass Swan mithalf. Falls auch Tante Bernice eine Meinung dazu hatte, so behielt sie die für sich. Sie erledigte ihren Anteil an der Hausarbeit so schnell wie möglich und verzog sich dann auf die dunkle Veranda, bis es Zeit wurde, ins Bett zu gehen. Wäre nicht das leise Quietschen der Schaukel gewesen, hätte man gar nicht
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