Die Geschichte eines Sommers
streckte die Hand aus und rieb Daumen und Zeigefinger aneinander. Gehorsam griff Bootsie in seine Taschen, kramte all sein Geld hervor und gab es Toy, der mit dem Kopf zur Tür deutete.
»Komm, ich fahr dich nach Hause. Du kannst dich morgen von irgendwem herbringen lassen und deinen Wagen abholen.«
Bootsie rutschte vom Hocker und erklärte Toy lallend, er könne selbst nach Hause fahren, verdammt noch mal. Vielleicht hatte er aber auch gesagt, er wolle für die Präsidentschaft kandidieren. Wie er lallte, war das schwer auszumachen.
Doch es spielte auch keine Rolle, denn Toy schob Bootsie einfach durch die Tür. Als er vor Toy her zum Parkplatz torkelte, ließ dieser das Geld, das Bootsie ihm gegeben hatte, in die Lebensmitteltüte fallen. Bootsies Holzfällerfrau würde gleich eine dreifache Überraschung erleben. Ihr Mann kam vor Tagesanbruch nach Hause, brachte was zu essen für die Familie mit und hatte außerdem noch genügend Geld übrig, um noch mehr Lebensmittel zu kaufen.
Als Toy zurückkam, war die Welt gerade in jenes sanfte silbergraue Licht gehüllt, das den Tagesanbruch ankündigt. Es war Toys liebste Tageszeit. Oder war es zumindest früher gewesen, als er um diese Zeit aufstand, statt müde ins Bett zu fallen. In Callas Laden brannte schon Licht, also war sie bereits wach, kochte Kaffee und bereitete alles für die ersten Stammkunden vor, die bald eintrudeln würden.
Er sprang aus dem Truck, ging dann auf den Laden zu und bemerkte dabei etwas so Unglaubliches, dass er zwei Mal hingucken musste. In Callas schönem Garten – oder dem, was davon übrig war – stand neben dem Hühnerstall ein Pferd. Ein großes weißes Pferd, das vor Schmutz nur so starrte. Das Tier hatte bereits den gesamten Mais gefressen, der dank der Fischabfälle, die Toy im Frühjahr dort vergraben hatte, gut gediehen war, und tat sich nun an den lila Erbsenschoten gütlich.
Toy fuchtelte nicht mit den Armen herum und brüllte das Tier auch nicht an, denn hätte es sich erschreckt und außerdem noch den Kürbis und die Tomaten zertrampelt, wären der Mais und die Erbsen davon auch nicht wiedergekommen. Stattdessen ging er gelassen und mit an den Seiten herunterhängenden Armen in den Garten. Das einzig Vernünftige war, das Pferd zu fangen, es einzusperren und dann herauszufinden, wem es gehörte. Wahrscheinlich würde man das schnell herauskriegen, denn so ein schönes Tier wie dieses, das nur gewaschen und gebürstet werden musste, sah man hier selten.
Doch als er näher trat, kam er sich wie ein Idiot vor, weil er tatsächlich geglaubt hatte, das Pferd sei bloß schmutzig. Er hatte nicht erkannt, dass die dunklen Flecken getrocknetes Blut waren. Zuerst glaubte er, das Tier wäre an einem Stacheldrahtzaun hängen geblieben, aber dann kamen ihm Zweifel. Stacheldraht verursacht schartige Wunden, und durch die Haken können auch schon mal Fleischstücke herausgerissen werden, aber die Verletzungen des Pferdes verliefen gerade und gekreuzt. Sie stammten definitiv von einer Peitsche. Toy Moses hatte schon lange keine derartige Wut mehr gespürt, wie sie in diesem Augenblick in ihm hochkochte.
Als Toy noch etwa drei Meter von dem Pferd entfernt war, blieb er stehen. Das Tier hörte auf zu fressen und beäugte ihn misstrauisch.
»Schon gut, mein Junge. Wenn du willst, kannst du weglaufen. Aber hier geht’s dir bestimmt besser als dort, wo du herkommst.«
Seine Stimme plätscherte sanft dahin.
Das Pferd trat mehrere Schritte zurück, und auch Toy ging ebenso viele Schritte zurück.
»Ich wünschte, du könntest reden«, sagte Toy, ging dann noch zwei Schritte zurück und brach den Blickkontakt zu dem Tier ab. Wie erwartet bewegte sich das Pferd auf ihn zu. Ganz langsam. Toy sah es immer noch nicht an, redete aber leise und freundlich weiter.
»Wenn du mir nur sagen könntest, wer das getan hat, ich würd’ es ihm mit gleicher Münze heimzahlen. Mal sehen, wie ihm das gefallen würde.«
Doch irgendwann musste das Tier auch mal gut behandelt worden sein, dachte Toy, als es jetzt näher kam. Toy stand still und wartete ab. Das Pferd war jetzt so nah, dass er es hätte berühren können, aber Toy widerstand dem Impuls, die Hand nach ihm auszustrecken. Langsam und gleichmäßig atmete er ein und aus. Und wartete.
Das Pferd streckte ihm seinen Kopf entgegen. Toy begrüßte es so, wie Pferde sich gegenseitig begrüßen, indem er dem Tier in die Nase blies. Das Pferd nickte mehrmals mit dem Kopf, als wollte es sagen, dass Toy
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