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Die Geschichte eines Sommers

Die Geschichte eines Sommers

Titel: Die Geschichte eines Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wingfield Jenny
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Moses ganz in Ordnung sei und es nichts dagegen hätte, eine Weile bei ihm zu bleiben. Da löste Toy ganz langsam seinen Gürtel, schlang ihn um den Hals des Pferdes und führte den mächtigen Snowman aus Calla Moses’ Garten.
    Als die Kinder zum Frühstück in die Küche kamen und kein Frühstück da war, wussten sie nicht, was sie davon halten sollten. Auf dem Herd stand zwar eine Pfanne mit kalten Brötchen und auf dem Tisch daneben eine Schüssel mit Eiern, aus denen Willadee anscheinend Rührei hatte machen wollen, aber offensichtlich war sie nicht dazu gekommen. Swans erster Gedanke war, dass noch jemand gestorben sein musste, denn in ihrem ganzen Leben war es noch niemals vorgekommen, dass ihre Mutter vergessen hatte, für ihre Kinder etwas zu essen zu machen.
    Als sie aus dem Küchenfenster blickte und auch noch das Auto des Sheriffs im Schatten eines Baumes parken sah, war sie sich ganz sicher, dass sie mit ihrer Vermutung richtiglag. Nicht dass dieser Anblick so ungewöhnlich gewesen wäre, denn das Auto stand fast jede Nacht eine Stunde oder so an der gleichen Stelle, während der Sheriff und sein Deputy im »Never Closes« hockten, doch der Sheriff war noch nie tagsüber da gewesen, außer als Papa John sich erschossen hatte. Also war es nur logisch, dass wieder etwas Schlimmes passiert sein musste.
    Die Einzige in der Familie, die alt genug war, um zu sterben, war Oma Calla, doch die stand neben dem Sheriff und beobachtete mit ihm etwas, das Swan nicht sehen konnte, weil Onkel Toys Truck im Weg stand.
    »Oh nein«, flüsterte Swan. Ihre Gedanken rasten und beschworen Bilder von furchtbaren Dingen herauf, die wem auch immer zugestoßen sein könnten.
    »Oh nein … was?«, fragte Noble. Er und Bienville hatten sich jeder ein kaltes Brötchen genommen und bohrten jetzt mit den Fingern Löcher hinein, in die sie dann Ahornsirup gossen.
    Swan antwortete nicht. Sie war bereits aus der Tür.

17
    Sheriff Early Meeks, um die Jahrhundertwende geboren, war zu früh zur Welt gekommen und hieß seitdem »Early«. Sein Vater hatte ihm den Namen gegeben, weil er das witzig fand, und alle, die davon hörten, stimmten ihm zu. Auch Early selbst, als er alt genug war, um eine eigene Meinung zu haben. Doch Early war mehr als ein bloßer Name; Early charakterisierte ihn auch ziemlich genau. Fing die Sonntagsschule um zehn Uhr an, war er um Viertel vor zehn da. Sollte er um halb neun bei der Arbeit sein, stand er um acht vor der Tür. Er schien nie in Eile zu sein, aber stets und ständig zu früh.
    Sheriff Meeks war in vielerlei Hinsicht ein extremer Mann: extrem groß, extrem dünn und – jedenfalls meistens – extrem gerecht. Manchmal allerdings wich seine Vorstellung von Gerechtigkeit vom Wortlaut des Gesetzes ab, und wenn das der Fall war, verbog er das Gesetz wie eine Büroklammer.
    Als vor vielen Jahren Yam Ferguson mit ziemlich weit auf den Rücken gedrehtem Kopf auf seinem eigenen Hof gefunden worden war, war Early als erster Polizist zur Stelle gewesen. Die Leiche hatte hinter dem Lenkrad von Yams Cabrio gesessen, der Motor des Wagens war noch warm gewesen, Yam jedoch nicht. Selbst wenn Early nicht bereits sämtliche Teile dieses Puzzles gekannt hätte, wäre er auch ohne viel Fantasie dahintergekommen, dass Yam in jener Nacht nicht selbst nach Hause gefahren sein konnte.
    Alle wussten, dass Yam es mit den Frauen von mindestens einem halben Dutzend Soldaten getrieben hatte, die fern der Heimat für ihr Land kämpften. Wussten es und verachteten ihn dafür. Alle wussten außerdem, dass Toy Moses der einzige dieser Soldaten war, der an diesem Abend nach Hause zurückgekehrt war.
    Sie wussten es, weil Toy Moses, als er in Magnolia aus dem Bus stieg, von Joe Bill Rader mitgenommen worden war, der nur wenige Meilen nach der Abzweigung zu Toys Haus wohnte. Sobald Joe Bill nach Hause kam, erzählte er seiner Frau Omega, dass Toy, der normalerweise nicht sehr gesprächig war, die ganze Fahrt über darüber geredet hatte, wie sehr er sich freue, wieder zu Hause zu sein, und dass er Bernice nichts davon gesagt habe, dass er zurückkam, weil er nicht wollte, dass sie sich seinetwegen viel Arbeit machte. Als sie sich Toys Haus näherten und hinter ihm das Heck von Yams Auto herausragen sahen, waren Toy für eine Sekunde die Gesichtszüge entgleist, dann hatte er Joe Bill gebeten weiterzufahren. Sagte, er habe vergessen, Zigaretten zu kaufen, und wolle nur kurz zu Mamas Laden, um sich welche zu holen. Joe Bills letzter

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