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Die Geschichte eines Sommers

Die Geschichte eines Sommers

Titel: Die Geschichte eines Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wingfield Jenny
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sagte Blue.
    »Richtig. Hottehü. Totes Hottehü.«
    Blues Augen wurden ganz groß vor Staunen, und Blades Augen wurden ganz groß vor Entsetzen.
    »Totes Hottehü«, sagte Blue glucksend.
    »Hast du das gehört, Snowman?«, schrie Ras lauthals. »Du bist ein totes Hottehü!«
    Blade sagte kein Wort, sondern hielt sich mit beiden Händen an der Umzäunung fest, während Blue oben auf dem Zaun saß. Und trotzdem hatte er das Gefühl, er würde stürzen, wenn er losließ.
    »Sobald die Striemen verblassen«, sagte Ras.
    »Bald Schriemen blassn«, echote Blue.
    »Denn Mr Odell Pritchett wird sein Pferd ja begutachten wollen«, sagte Ras, »und dieses Vorrecht will ich ihm nicht nehmen.«
    Der Satz war ein bisschen zu lang für Blue, doch er wiederholte ihn, so gut er konnte. »Mister O. hell Pritchtt Ferd gut wolln, un Rech will nich nehm.«

16
    Blade hatte keine Ahnung, wie lange es dauern würde, bis Snowmans Striemen verheilten, aber er wusste, dass das Pferd erledigt war, sobald es so weit war. Übelkeit stieg in ihm auf, die in Zorn umschlug.
    Nichts, was sein Daddy je getan hatte, hatte Blade so erschüttert wie das, was er nun vorhatte. Alles andere hatte er als unabänderlich akzeptiert. Er wusste und fragte sich auch nicht, warum die Sache mit Snowman anders war. Doch das war sie.
    Den ganzen Tag lang grübelte er darüber nach. Ras fegte geschäftig herum, flickte Zaumzeug, mistete Boxen aus, schnitt das Gras im Hof mit einer Sichel. Blue folgte ihm wie üblich wie ein Hündchen und bekam wie üblich den Kopf getätschelt und erzählt, wie schlau er doch sei. Blade verkroch sich währenddessen unter die Veranda, saß dort im Halbdunkel und zeichnete mit den Fingern Bilder in die Erde, während er überlegte, was er tun könnte.
    Es hatte keinen Sinn, seinen Daddy zu bitten, das Pferd nicht zu töten. Täte er das, würde es nur früher sterben und vielleicht noch mehr leiden müssen. Am liebsten hätte Blade Mr Odell Pritchett angerufen, ihm gesagt, was los war, und ihn gebeten, Snowman sofort abzuholen. Doch dafür hätte er sich die Telefonnummer des Mannes aus der Brieftasche seines Vaters stibitzen und herauskriegen müssen, wie man ein Ferngespräch führt, und hätte sich zu guter Letzt auf keinen Fall erwischen lassen dürfen. Drei Hindernisse, die ihm unüberwindlich schienen.
    Er wünschte sich, sein Daddy würde verschwinden. Er wünschte sich nicht direkt, so wie seine Mutter, dass Ras sterben würde, denn mit so einem Wunsch hätte ein Junge in Blades Alter nur schwer leben können. Er wünschte sich einfach nur, dass Ras in den Wald gehen oder mit dem Truck wegfahren und nie mehr wiederkommen würde. Gerade hätte man ihn noch gesehen, doch einen Augenblick später wäre er schon fort.
    Aber Ras war nicht fort. Er war heute nicht fort, und er würde auch morgen nicht fort sein. Er war hier, er würde das Pferd töten, und es gab nichts, was Blade dagegen tun konnte. Es sei denn …
    Hier gerieten Blades Gedanken ins Stocken und schreckten vor der Schlussfolgerung zurück wie nackte Füße vor Glasscherben.
    Es sei denn … er könnte dafür sorgen, dass das Pferd verschwand.
    Blade Ballenger hatte noch nie so viel Angst vor seinem Daddy gehabt wie in dem Moment, als er die Kette am Tor zum Pferch öffnete und zu Snowman hineinging. Bis zu diesem Augenblick hätte er noch, wenn man ihn erwischt hätte, irgendeine Geschichte erfinden können, weshalb er mitten in der Nacht hier draußen war, oder er hätte einfach verstummen können, wie man es schließlich von einem Kind erwartete, das so dumm war, dass es das nicht mal merkte. So oder so, beides hätte die gleichen Konsequenzen gehabt, aber Blade war an Konsequenzen gewöhnt. Sein ganzes bisheriges Leben bestand so ziemlich aus einer Konsequenz nach der anderen.
    Aber wurde er jetzt erwischt, so würde das mit Sicherheit Konsequenzen zur Folge haben, wie er sie noch nie erlebt hatte, die ihn aber jetzt schon in seinen Alpträumen verfolgten. Aus Vorsicht hatte er seine Schlafsachen angelassen – so nannte Mama das T-Shirt und die Unterwäsche, die er an dem Tag getragen hatte –, statt eine richtige Hose anzuziehen. Denn hätte sein Daddy gehört, wie er sich anzog, und wäre gekommen, um nachzusehen, was er da machte …
    Nicht auszudenken. Es hatte keinen Sinn, darüber nachzugrübeln, und außerdem würde er sich nicht mehr von seinem Vorhaben abbringen lassen. Er war fest entschlossen, Snowman aus dem Pferch herauszulassen und ihm dabei

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