Die Geschichte von Zoe und Will
so schreckliche Geräusche wie gerade eben von sich gibt.
»Wir gehen schnell los und essen einen Happen und kommen zurück, und dann küss ich dich die ganze Nacht, okay?«
»Ja, bitte.«
Wir gehen zu Denny’s, das nur ein paar Blocks die Straße runter liegt. Die Bedienung, die uns an unseren Tisch bringt, beachtet uns kaum, und ich stoße erleichtert den Atem aus, von dem ich gar nicht wusste, dass ich ihn angehalten habe. Fühlt sich an, als wäre da immer jemand, etwas, das uns jagen, uns packen, zurück an die Orte zerren will, von denen wir nicht geschickt genug geflüchtet waren.
»Ich habe noch nie in meinem Leben so oft in Restaurants gegessen«, sagt Zoe, als sie die Speisekarte aufschlägt und einen Blick hineinwirft. Ich trommle mit den Fingern gegen die Stille zwischen uns an.
»Hey, denkst du, wir sind verrückt?« Ich kratze mich am Ohr und betrachte die Menschen in dem Diner. Freie Menschen. »Das hier zu tun?«
Für eine Sekunde hört sie auf, die Speisekarte zu lesen, und ich wünschte, ich hätte diese Frage nicht gestellt. Was, wenn sie Ja sagt? Was, wenn sie sagt, sie will überhaupt nicht wirklich hier sein? Mit mir, irgendwo hingehen, einen Neuanfang machen. Aber dann schüttelt sie den Kopf. Sie hält inne und nickt.
Ich lache. »Ist halt so?«
»Ja. Ist halt so.« Sie sagt es, so wie ich es sage, macht sich über meine Art zu reden lustig. Was verdammt komisch ist. »Es ist verrückt, dass wir hier sind, am Ende der Welt, und einfach irgendwie hoffen, dass sich alles zum Guten wenden wird. Aber andererseits ist es auch nicht verrückt. Es ist nicht verrückt, mit dir zusammen zu sein. Es ist nicht verrückt zu glauben, dass wir es schaffen. Wir sollten etwas wirklich Verrücktes tun. Zum Beispiel die Straße nackt hinunterlaufen.«
»Ist es nicht zu kalt dafür?«
»Oder in der Lotterie gewinnen.«
»Ja, das wäre toll. Aber dazu müsste man erst mal spielen. Ich kauf dir ein Los, wenn wir in Vegas sind. Bisher hatten wir so großes Glück. Vielleicht bleibt das so. Wir gewinnen ein paar Millionen, das reicht dann ein Weilchen.«
Sie ist süß, und ihre Augen glitzern. Mir gefällt der Gedanke, dass unser gesamtes Leben an einem Tag gerettet wäre, nur durch einen Fetzen Papier mit aufgerubbelten Zahlen.
»Wenn wir gewinnen, verreisen wir. Wolltest du jemals verreisen? Wir könnten in den Regenwald fahren oder auf eine Safari gehen. Eine Kreuzfahrt machen oder irgendwas. Du und ich. Hört sich das gut an?«
Sie zuckt mit den Schultern. »Verreisen, hierbleiben. Ist mir egal. Solange ich bei dir bin.«
»Siehst du? Du denkst bereits verrückt.«
»Ich denke, es ist Zeit, etwas zu bestellen«, schießt sie zurück, stupst mich mit der Schulter an und nickt der Kellnerin zu, die sich einen Weg zu unserem Tisch bahnt.
ZOE
WIR BESTELLEN , UND ICH beobachte ihn eine Minute. Er nippt an seinem Wasser. Späht unter seinen Wimpern zu mir hoch. Ich denke über sein Gesicht nach und dass es irgendwie eine Mischung aus allem ist.
Er lächelt mich an. »Was?«
»Wir sollten in die Stadt fahren, in der du geboren wurdest.«
»Warum zum Teufel sollten wir das tun?«
Die Worte sind scharf und bohren sich schmerzhaft in mich hinein. Aber er bemerkt es und rudert zurück, gibt sich mehr Mühe. »Tut mir leid.«
»Ist schon okay. Ich verstehe.« Ich verstehe wirklich, warum er, warum irgendjemand den Ort vergessen möchte, an dem er geboren wurde. Vorgeben möchte, dass das Ereignis seiner Geburt nie stattgefunden hat.
So viele Male – zu viele Male – habe ich mir schon gewünscht, meine Geburt hätte nie stattgefunden. Etwa als mein Dad die Festigkeit von Wänden mit meinem Kopf ausgetestet hat. Hätte es meine Mutter nicht besser wissen müssen, als ein Kind in die Welt dieses Mannes zu bringen? Was hat sie sich nur dabei gedacht, schwanger zu werden und dann zu sterben, ein kleines Mädchen einem Mann auszuliefern, der über keinerlei Selbstkontrolle verfügt? Es ist so schrecklich, schrecklich einfach, meiner Mom für alles die Schuld in die Schuhe zu schieben, nur weil sie die Entscheidung traf, mich zu haben.
Jetzt, wenn ich Will ansehe, ihn beobachte, wie er meinen Vorschlag in seinem Kopf hin und her wälzt, in diesem Augenblick kann ich Dankbarkeit für mein Leben empfinden. Aber dieses Leben-wollen ist ein derart neues Gefühl. Vor Will – bevor ich mir eine Flucht auch nur vorstellen konnte – war das Leben etwas, das es zu ertragen galt, passiv. Jetzt hungere ich
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