Die geschwätzigen Kleinode (German Edition)
wieder ›dies Gebäude steht keinen Augenblick länger!‹ Er geht, ich folge ihm. Der Koloß kommt an, zertrümmert die Halle, sie stürzt mit schrecklichem Geräusch zusammen, und ich erwache.«
»O Fürst,« rief Mirzoza, »wer kann träumen wie Sie? Ich hätte Ihnen gern eine geruhige Nacht gegönnt, aber jetzt, da ich Ihren Traum weiß, täte es mir sehr leid, wenn Sie nicht geträumt hätten.« »Madame,« sagte Mangogul, »ich habe doch bessere Nächte verbracht, als mit diesem Traum, der Ihnen so sehr gefällt. Hätte ich meine Reise bestimmen können, so würde ich meinen Lauf schwerlich in das Land der Hypothesen gerichtet haben, wo ich nicht hoffen durfte, Ihnen zu begegnen. Dann empfänd’ ich auch die Kopfschmerzen nicht, die mir jetzt zu schaffen machen, oder wenigstens hätt’ ich Ursache, mich darüber zu trösten.«
»Gnädigster Herr,« antwortete Mirzoza, »es steht zu hoffen, die werden nicht viel zu sagen haben, und ein oder zwei Versuche Ihres Ringes werden Sie davon befreien.« »Das wird die Zukunft lehren,« sagte Mangogul. Die Unterhaltung zwischen dem Sultan und Mirzoza dauerte noch einige Augenblicke. Er verließ sie erst gegen elf Uhr, um sich dahin zu begeben, wo wir ihn im folgenden Abschnitt antreffen werden.
Unter allen Damen, die am Hofe des Sultans glänzten, hatte keine mehr Anmut und Witz, als die junge Aglae, Gemahlin des Ober-Mundschenks Seiner Hoheit. Sie war immer bei Mangoguls Gesellschaften, der ihre gefällige Unterhaltung liebte; und als ob Freude und Vergnügen nur da wohnten, wo sich Aglae befände, ward auch Aglae bei jeder Gesellschaft der Großen seines Hofes zugezogen. Bei Bällen, Schauspielen, Versammlungen, Gastmählern, Abendmahlzeiten, Jagden, Spielen, überall wollte man Aglae haben, und man traf sie auch überall. Es schien, als ob der Geschmack an Unterhaltung sie so allgegenwärtig machte, als das Verlangen nach ihr. Ich darf also nicht erst sagen, daß kein Frauenzimmer so überall gesucht und so überall zu finden war als Aglae.
Immer ward sie von einer Menge Anbeter verfolgt, und man war überzeugt, sie habe nicht alle verschmachten lassen. Aus Unvorsichtigkeit oder Gefälligkeit sah das, was sie als bloße Höflichkeit meinte, oftmals einer ausgezeichneten Achtung ähnlich; und die, welche ihr zu gefallen strebten, redeten sich zuweilen ein, ihr Blick sei zärtlich, wo sie an weiter nichts dachte, als sich freundlich zu erweisen. Sie war weder bissig noch schadenfroh und öffnete den Mund nur, um etwas Verbindliches zu sagen. Das geschah aber mit so vieler Empfindung und Lebhaftigkeit, daß ihre Lobsprüche mehrmals den Verdacht erregten, als habe sie eine Wahl zu rechtfertigen.
Das heißt, diese Welt, deren Zierde und Freude Aglae ausmachte, war ihrer nicht wert.
Man konnte glauben, ein Frauenzimmer, an der man vielleicht nur ein Übermaß von Gutherzigkeit aussetzen durfte, müsse keine Feinde gehabt haben. Und doch hatte sie welche, und zwar grausame. Die Betschwestern von Banza fanden ihr Betragen zu frei, ihr Benehmen ein wenig zu ausgelassen, ihre ganze Aufführung ein ewiges Streben nach den Freuden der Welt: schlossen daraus, ihre Sitten müßten wenigstens zweideutig sein, und waren so menschenfreundlich, das einem jedem zuzuflüstern, der es hören wollte.
Die Hofdamen behandelten sie nicht besser. Sie dachten Arges von Aglaes Verbindungen, meinten, sie hätte Liebhaber, ließen sie gar in einigen Abenteuern eine Hauptrolle, in anderen eine Nebenrolle spielen. Man wußte die kleinsten Umstände, man nannte Zeugen. »Jaja,« so raunte man sich ins Ohr, »neulich wurde sie bei einem Stelldichein mit Melraim in einem Boskett des großen Parks überrascht.« »Aglae hat Verstand,« setzte man hinzu, »aber Melraim noch viel mehr, um sich mit bloßen Worten zu begnügen um zehn Uhr abends in einem Boskett.« – »Da irren Sie sich,« antwortete ein Stutzer, »ich bin wohl in der Dämmerung mit ihr hundertmal spazieren gegangen und habe mich ganz gut dabei unterhalten. Wissen Sie übrigens, daß Sulemar immer in ihrem Ankleidezimmer sitzt?« – »Freilich wissen wir das, und daß sie sich immer nur anzieht, wenn ihr Gemahl beim Sultan Dienst hat.« – »Der arme Celebi,« fuhr eine andre fort, »wahrhaftig, seine Frau bringt ihn ins Gerede mit dem Diadem und dem Ohrgehänge, das ihr der Pascha Ismael geschenkt hat.« – »Wissen Sie das gewiß, gnädige Frau?« – »Ganz gewiß, von ihr selbst. Aber um Brahmas willen, nichts
Weitere Kostenlose Bücher