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Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Titel: Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feucht Wanger
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eines: ihr Haß.
    Das Land seufzte. Aber es hielt Ruhe und Ordnung. Pfeiler dieser Ordnung waren die sechshunderttausend Landsknechte, und untermauert war sie mit den hunderttausend Häftlingen. Das Land verelendete, das Land verlumpte: aber wer über den Kurfürstendamm in Berlin ging, über den Jungfernstieg in Hamburg, über die Hohe Straße in Köln, der sah nichts als Ruhe und Ordnung.
    Aus diesem Deutschland kam Anna.
    Gustav stand auf dem Bahnhof des provenzalischen Seestädtchens Bandol und erwartete sie. Sie stieg aus. Ein klein wenig voller war sie, aber schmal noch immer, mädchenhaft und fraulich zugleich, groß, ruhig. Mistral war. Gustav sah vergnügt, wie der frische, angenehme Wind ihre Backen rötete, aber um die Augen blieb sie blaß. Fröhlich, gelassen saß sie neben ihm. Gustav griff nach ihrer Hand; sie streifte den Handschuh ab, ließ sie ihm.
    Gustav war befriedigt, daß er für ihr Zusammensein diese schöne, südliche Landschaft gewählt hatte. Das Meeresufer sprang bald zackig vor, bald schwang es sich in großem Bogen, niemals allzu wirkungsvoll; niedrige Berge hoben sich in weiten Linien, mattfarbig, mit graugrünen Ölbäumen, graubraunem, bröckelndem Fels, mit Reben und Pinien.
    Anna setzte ihm während des Abendessens auseinander, wie sie sich ihren Aufenthalt hier denke. Müde nach der heftigenArbeit des letzten Jahres, freute sie sich auf das Nichtstun, auf das Meer. Schön wird das sein, spazierengehen, baden, in der Sonne liegen. Aber ganz ohne Arbeit kann sie nicht sein. Ihr Französisch ist arg lückenhaft. Sie hat sich Bücher mitgebracht, ein gutes Lexikon. Sie sprach ruhig, ernst und fröhlich wie stets. Unter dem dichten, braunen Haar schauten ihre hellen Augen prüfend, ließen vieles liegen, packten, was ihnen zukam, langsam, doch für immer. Anna war genauso, wie Gustav sie vor neunzehn Monaten zum letztenmal gesehen hatte. Er war erstaunt. Ihm schien, es müßte jeder, der aus dem Lande des Alpdrucks kam, von Grund auf gewandelt sein. War es recht, was er vorhatte, von diesem hellen, gelassenen Gesicht, von dieser eckigen Stirn die Ruhe fortzuwischen, wie sie ihm für immer fortgewischt war? Und wenn es recht war, wird es ihm glücken?
    Vornächst sprach er nicht von den Dingen, die ihn bewegten. Vielmehr sagte er Anna nur, daß er diesmal nicht so aus dem vollen wirtschaften könne wie früher. Ordentlich und rechenhaft, wie sie war, kam ihr das sehr recht. Sie mieteten ein kleines, altes Auto und zogen aus, abenteuerlustig, um ein billiges Haus zu suchen, in dem sie die paar Wochen wohnen könnten. Sie fanden eines, auf der Halbinsel La Gorguette. Breit, niedrig, einsam stand es an einer kleinen Bucht, rosigbraun, verwittert, auf nicht hoher Klippe. Dahinter hoben sich Hügel mit Ölbäumen, Reben und, vor allem, Pinien. Die Straße erstieg in rundem, klarem Schwung die Klippe. Weder Blumen noch Gräser gediehen in dem Salzwind. Vor dem Haus war nur das Meer und, sanft fallend, besonnt, sandiges Gelände, gesäumt von einer dichten Schonung junger, niedriger Pinien, die die Klippe hinunter zum Meer krochen.
    Ein ärmlich angezogener Mensch zeigte ihnen mit edeln Gesten das Innere. Die Räume waren groß, kahl, verfallen, überall schaute das Meer hinein. Wenige, ramponierte Möbel standen herum. Der Mann war sparsam von Wort, keineswegs aufdringlich. Anna glaubte, sie werde da schon zurechtkommen; es reizte sie, Ordnung zu schaffen. Mit ganz geringerMühe und wenig Geld wird man das Nötigste reparieren. Der ärmliche Mensch mit den edeln Gesten, ein Weinbauer, der ein paar hundert Meter weiter innen im Land ein kleines Besitztum hatte, erklärte sich bereit, zu helfen. Sie mieteten.
    In zweimal vierundzwanzig Stunden muß es soweit sein, daß sie das Haus beziehen können. Den ganzen andern Tag räumte und wirtschaftete Anna herum, der Mann sägte, hämmerte, ruhig, sparsam von Wort, mit schönen Bewegungen. Gustav schaute zu. Manchmal fragte ihn Anna um ein französisches Wort, um sich mit dem Mann zu verständigen. Sonst konnte er wenig helfen. Ihr machte die Arbeit Freude, sie ging ganz in ihr auf. Hätte er sie geheiratet, hätte er mit ihr zusammen gelebt, alles wäre anders gekommen.
    Er stand im Wege. Er legte sich vors Haus, in die Sonne, döste vor sich hin in dem leichten Wind. Es war trostreich, und es war unheimlich, wie fest und ruhevoll Annas Gesicht war. Dieses Gesicht mit seinem breiten, schönen Mund, den kräftigen Jochbogen, der eckigen Stirn unter

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