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Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Titel: Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feucht Wanger
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Solange der Sieg der Nationalisten nicht vollständig ist, also bis zu den Wahlen, läuft er Gefahr, daß man ihn als den intellektuellen Urheber der Tat verfolgt. Richard Karper war ein beliebter Schriftsteller gewesen, die Zeitungen der Linken in ihrer albernen Überschätzung des Einzellebens schrien waih über seinen Tod. Bis zu den Wahlen war Zurückhaltung geboten. Nach den Wahlen kann Bernd Vogelsang seinen Anteil an der Tat mit doppeltem Stolz verkünden. Vorläufig aber gilt es, sich still zu halten. Kaum daß Vogelsang den Schüler Rittersteg seine Anerkennung merken ließ. Den Fall Oppermann erwähnte er nicht mehr.
    Die Pennäler aber breiteten ihrem Kameraden Rittersteg ihre Verehrung unter die Füße. An einem anschaulichen Beispiel hat er ihnen vorgelebt, wie ein Wilhelm Tell, wie ein Hermann der Deutsche auf die schäbigen Angriffe eines Karperreagiert hätte. Daß er sich auf Notwehr hinausredete, erhöhte nur sein Ansehen. Dem tückischen Feind gegenüber waren solche Ausreden ein erlaubtes Mittel; sie entsprangen jener nordischen List, von der Dr. Vogelsang immer sprach.
    Der Lange Lulatsch sonnte sich in seinem Ruhm. Die Lehrer, trotzdem seine Leistungen nicht genügten, behandelten ihn wie ein rohes Ei. Im Sommer wird er ein Motorboot haben und mit den Mädchen auf dem Teupitzsee herumgondeln.
    Nur ein bitterer Tropfen war in seinem Triumph. Er hat den großen Coup gelandet, es war ein großer Coup, alle fanden es. Aber der, um dessentwillen er die Geschichte gestartet hatte, fand es nicht.
    Er ging um Heinrich herum, schaute ihn von der Seite an, gespannt, bettelnd. Wird der Mensch nicht endlich zu ihm sagen: »Ich habe mich geirrt, Werner. Ich habe dir die Tat nicht zugetraut. Ich bitte dich um Verzeihung. Hier meine Hand«? Nichts geschah. Eine ganze Woche geschah nichts. Heinrichs kaltes Schweigen machte den Langen Lulatsch verrückt.
    Am achten Tag, im Schulhof, genau an der Stelle, wo er Heinrich zum erstenmal von der Tat gesprochen hatte, trat er unversehens schnell auf ihn zu. »Na, Mensch«, sagte er, »krieg ich jetzt meine fünfzehn Pfennig?« Er hatte sich vollgepumpt mit Triumph, Zuversicht, schaute Heinrich fest, voll, ein Überlegener, ins Auge. Allein Heinrich gab ihm seinen Blick kalt zurück, keineswegs besiegt. »No, Sir«, sagte er. Und, nach einer kleinen Weile, bösartig: »Wenn du willst, werde ich die fünfzehn Pfennig als Depot hinterlegen, bis sich herausgestellt hat, ob du in Notwehr gehandelt hast.« Ein kleines Rot stieg in die bläßlichen Wangen Werners. »Spielst du auch Polizei?« fragte er heftig. Heinrich zuckte die Achseln. Das war alles. Werner, ohne daß er sich’s zugestand, fühlte sich um den Sinn seiner Tat betrogen.
    Dabei hatte sein Coup Heinrich tief getroffen. Die Tat des Langen Lulatsch, dieses damned fool, verwirrte ihm Urteil und Gefühl. Was soll er tun? Er ist der einzige, der um dieVorgeschichte des Mordes weiß. Er hat genau die piepsige Stimme Werners im Ohr: »Ein Messer sollte man so einem Schwein in den Ranzen rennen«, und: »Du wirst es erleben, Mensch, ich renn ihm das Messer in den Ranzen.« Er spürt, daß er, der Bleistift und die fünfzehn Pfennig sehr tief mit in die Ursachenkette dieses Mordes verknüpft sind. Aber was anders hätte er antworten sollen als: »Du bist ja verrückt, Mensch«? Sie waren ja verrückt, allesamt. Das ganze Land ist ein Irrenhaus geworden. Hat er, Heinrich, nicht die Pflicht, auszusagen, was er weiß, dem Staatsanwalt zu schreiben, daß dieser Held kein Held, sondern ein Lump, dieser Mord nicht Notwehr war, sondern angekündigt, Absicht? Aber wenn er gegen den Dämlack Zeugnis ablegt, ist damit irgend etwas erreicht? Die Wissenden wissen, und die andern sind nicht zu belehren und werden ihm nicht glauben. Er macht nur sich selber Schwierigkeiten, seinem Vater, den Oppermanns, Berthold.
    Sein Vater würde ihm bestimmt abraten, Rittersteg anzuzeigen. Mit guten, einleuchtenden Gründen. Heinrich, auch ohne mit seinem Vater zu sprechen, weiß das genau. Dennoch ist er immer wieder versucht, auszusagen, was er weiß. Man muß sagen, was ist. Man kann nicht ruhig sein, wenn aus einem verbrecherischen Narren ein Held gemacht wird. Man muß, auch wenn die Erfolgschance noch so bescheiden ist, den andern klarzumachen suchen, daß der Kerl ein verbrecherischer Narr ist. »Go ahead, Harry«, sagte er sich manchmal. »Write to the attorney, what happened.« Und sogleich, halb ärgerlich, halb lächelnd, übersetzte

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