Die Gesellschaft des Abendsterns
während Vanessa weiter auf das Haus zufuhr.
Die Rückkehr nach Fabelheim erfüllte Kendra mit ungeheurer Erleichterung. Ein Teil von ihr hatte sich gefragt, ob sie jemals wieder hierherkommen würde. Bisweilen war ihr der vergangene Sommer unwirklich erschienen, wie ein langer, seltsamer Traum. Aber dort war es, das Haus, mit seinen
hell erleuchteten Fenstern, den prächtigen Giebeln, verwitterten Mauern und dem Türmchen an der Seite. Jetzt, da sie darüber nachdachte, fiel ihr auf, dass sie nie den Zugang zu dem Türmchen gefunden hatte, obwohl sie auf beiden Seiten des Dachbodens gewesen war. Sie würde Opa danach fragen müssen.
Inmitten der dunklen Sträucher im Garten bemerkte Kendra das farbenprächtige Funkeln umherhuschender Feen. Nach Sonnenuntergang waren sie selten in großer Anzahl zu sehen, deshalb überraschte es sie ein wenig, mindestens dreißig oder vierzig durch den Garten schweben zu sehen – schillernd in Rot, Blau, Purpur, Grün, Orange, Weiß und Gold. Kendra vermutete, dass es an dem großen Zuwachs in der Feenpopulation liegen musste; im letzten Sommer hatte sie Hunderten von Kobolden geholfen, wieder ihre Feengestalt anzunehmen.
Es war traurig, dass ihre Freundin Lena nicht da sein würde, um sie willkommen zu heißen. Die Feen hatten die Haushälterin zu dem See zurückgebracht, aus dem Patton Burgess sie vor Jahren herausgelockt hatte. Lena schien nicht gerade scharf darauf gewesen zu sein, dorthin zurückzukehren. Andererseits hatte sie das letzte Mal, als sie sich begegneten, versucht, Kendra in den See zu ziehen. Trotzdem war Kendra entschlossen, einen Weg zu finden, um ihre Freundin aus ihrem wässrigen Gefängnis zu befreien. Tief im Innern war sie immer noch der Überzeugung, dass Lena das Leben einer Sterblichen dem einer Najade vorzog.
Vanessa brachte den beschädigten Sportwagen vor dem Haus zum Stehen. Oma Sørensen kam gerade von der vorderen Veranda, um sie zu begrüßen. Kendra stieg aus und klappte den Sitz nach vorn, damit Seth sich aus dem Wagen schälen konnte. Er kletterte hinaus und streckte sich erst einmal ausgiebig.
»Ich bin so erleichtert, zu sehen, dass es euch gut geht«, sagte Oma und umarmte Kendra.
»Nur dass meine Beine vollkommen taub sind«, stöhnte Seth und rieb sich die Waden.
»Er meint, wir freuen uns auch, dich zu sehen«, entschuldigte sich Kendra.
Oma umarmte Seth, der sich ein wenig zu sträuben schien. »Meine Güte«, sagte sie. »Du bist ja einen ganzen Kilometer größer als beim letzten Mal.«
Dale kam mit dem Quad schlitternd zum Stehen, sprang herunter und half Vanessa, die Koffer aus dem Wagen zu holen. Seth eilte zu ihnen, um ihnen zu helfen. Kendra holte ihre Reisetasche von der Rückbank.
»Sieht so aus, als hättet ihr ganz schön was abbekommen«, meinte Oma, während sie die Delle im Dach des stromlinienförmigen Gefährts betrachtete.
»Der Wagen ließ sich trotzdem noch überraschend gut fahren«, erwiderte Vanessa, während sie Seths Koffer hochhob. Seth griff danach.
»Wir werden alle Reparaturkosten übernehmen«, sagte Oma.
Vanessa schüttelte den Kopf. »Ich gebe ein Vermögen für die Versicherung aus. Die sollen die Rechnung bezahlen.« Sie belohnte Seths Beharrlichkeit, indem sie ihm seinen Koffer überließ.
Gemeinsam gingen sie zur Haustür und traten ein. Opa saß in der Eingangshalle in einem Rollstuhl. Sein linkes Bein steckte in einem Gipsverband, der von den Zehen bis über das Schienbein reichte. Sein rechter Arm steckte ebenfalls vom Handgelenk bis zur Schulter in Gips. Auf seinem Gesicht waren verblassende Prellungen zu sehen, gelbliche und grüne Flecken. Aber er grinste.
Links und rechts neben Opa standen zwei Männer. Einer
war ein massiger Polynesier mit breiter Nase und freundlichen Augen. Sein Tanktop ließ gewaltige muskulöse Schultern erkennen. Um seinen dicken Oberarm wand sich ein grünes Dornen-Tattoo. Bei dem anderen handelte es sich um einen älteren Mann, der um einige Zentimeter kleiner war als Kendra, außerdem dünn und drahtig. Sein Kopf war kahl bis auf ein graues Büschel in der Mitte und einen Haarkranz an den Seiten. Er trug mehrere billige Anhänger um den Hals, die an Lederschnüren und glanzlosen Ketten befestigt waren. Außerdem hatte er zwei geflochtene Bänder am Arm und trug einen hölzernen Ring. Nichts davon sah wertvoll aus. An seiner linken Hand fehlten der kleine Finger und ein Teil des Ringfingers.
»Willkommen zurück«, rief Opa strahlend. »Es ist so
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