Die Gesellschaft des Abendsterns
schön, euch zu sehen.« Kendra fragte sich, ob er versuchte, mit dieser Überschwänglichkeit seinen angeschlagenen Zustand zu überspielen. »Kendra, Seth, ich möchte euch Tanugatoa Dufu vorstellen.« Opa deutete mit seinem unversehrten Arm auf den Polynesier.
»Alle nennen mich Tanu«, sagte der. Er hatte eine sanfte, tiefe Stimme und sprach sehr deutlich. Sein verschmitzter Blick und seine weiche Stimme milderten sein ansonsten einschüchterndes Äußeres etwas ab.
»Und das ist Coulter Dixon, dessen Name Kendra nicht unbekannt ist«, fuhr Opa fort.
Coulter musterte die beiden Kinder eindringlich. »Jeder Freund von Stan ist auch ein Freund von mir«, sagte er. Es klang nicht besonders überzeugend.
»Freut mich, Sie kennenzulernen«, erwiderte Kendra.
»Jeder Freund von Opa …«, fügte Seth hinzu.
Dale und Vanessa nahmen Kendra und Seth ihr Gepäck ab und gingen die Treppe hinauf.
»Vanessa Santoro habt ihr ja bereits kennengelernt«, sagte
Opa. »Tanu, Coulter und Vanessa sind zu uns nach Fabelheim gekommen, um uns bei der Arbeit zu helfen. Wie ihr seht, hatte ich letzte Woche ein kleines Missgeschick, deshalb war ihre Unterstützung in den letzten Tagen umso wertvoller.«
»Was ist passiert?«, erkundigte sich Seth.
»Dieses Thema, und noch einige andere, heben wir uns für morgen auf. Es ist weit nach Mitternacht, und ihr hattet einen ereignisreichen Tag. Euer Zimmer ist bereit und wartet auf euch. Schlaft euch aus, und morgen Früh besprechen wir die Lage.«
»Ich will wissen, was mich gebissen hat«, sagte Seth.
»Morgen«, versprach Opa.
»Ich glaube nicht, dass ich jetzt schlafen kann«, bemerkte Kendra.
»Wart’s erst mal ab, Kendra«, sagte Oma von hinten, während sie Kendra und Seth auf die Treppe zuschob. »Könnte sein, dass du eine Überraschung erlebst.«
»Der morgige Tag fängt bald genug an«, erklärte Opa. Während Kendra die Treppe hinaufging, schob Tanu Opa in Richtung des Arbeitszimmers.
Kendra strich mit der Hand über den glatten Lack des Treppengeländers. Sie dachte daran, wie das ganze Haus in Trümmern gelegen hatte, nachdem Seth am Mittsommerabend törichterweise das Dachbodenfenster geöffnet hatte. Und daran, wie die Wichtel es über Nacht repariert und dabei vieles sogar noch schöner gemacht hatten, als es zuvor gewesen war. Sie betrat das Spielzimmer unterm Dach; es fühlte sich vertraut und sicher an, trotz der Nacht, in der die grimmigen Eindringlinge sie und ihren Bruder innerhalb eines Rings aus Salz festgehalten hatten.
»Hier sind eure Sachen«, sagte Dale und deutete auf die Taschen neben den Betten. »Willkommen zurück.«
»Süße Träume«, wünschte Vanessa, dann verließ sie mit Dale den Raum.
»Kann ich euch irgendetwas anbieten?«, fragte Oma. »Warme Milch vielleicht?«
»Klar«, sagte Seth. »Danke.«
»Dale wird sie gleich hochbringen«, erwiderte Oma. Sie umarmte beide Kinder noch einmal. »Ich bin so froh, dass ihr sicher angekommen seid. Träumt was Schönes. Wir werden uns morgen Früh ausführlich unterhalten.« Sie verließ den Raum.
Seth machte sich über seinen Koffer her. »Kannst du ein Geheimnis für dich behalten?«, fragte er.
Kendra ging in die Hocke, um den Reißverschluss ihrer Reisetasche zu öffnen. »Ja, aber du kannst es nicht, deshalb glaube ich, dass du es mir sowieso erzählen wirst.«
Er holte eine Jumbopackung C-Batterien aus seinem Koffer. »Ich werde Fabelheim als Millionär verlassen.«
»Woher hast du die?«
»Die habe ich schon vor langer Zeit gekauft«, antwortete Seth. »Nur für den Fall des Falles.«
»Du willst sie den Satyren verkaufen?«
»Damit sie fernsehen können.«
Kendra schüttelte den Kopf. Die Satyre, denen sie im Wald begegnet waren, nachdem sie einer Ogerin Suppe gestohlen hatten, hatten Seth Gold versprochen, falls er ihnen Batterien für ihren tragbaren Fernseher brachte. »An deiner Stelle würde ich mich nicht darauf verlassen, dass Newel und Doren auch wirklich zahlen.«
»Das ist der Grund, warum alle Zahlungen im Voraus geleistet werden müssen«, erwiderte Seth. Dann legte er die Batterien in seinen Koffer zurück und nahm das übergroße T-Shirt und die Shorts heraus, die er als Schlafanzug benutzte. »Wir haben schon alles besprochen.«
»Wann?«
»Letzten Sommer, während du eine Ewigkeit geschlafen hast, nachdem die Feen dich geküsst haben – während eines der seltenen Augenblicke, in denen mir niemand eine Standpauke gehalten hat. Ich bin im Bad.« Er ging
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