Die Gespenster von Berlin
englischsprachigen Büchern zu Geistern und Toten/Untoten/Wiedergeburt. Der Bestand entstammt dem Nachlass eines fanatischen Sammlers. Er kaufte die Titel großteils in Antiquariaten. Die Bücher sind überwiegend gebraucht und deshalb mit den üblichen Spuren versehen: z. B. berieben, lichtrandig, Besitzervermerk, mit Buchhandelsaufklebern, fleckig. Unglaublich, was es alles gibt bei unseren angelsächsischen Vettern! Äußerst kurios erscheint der Titel ›Haunted Britain‹: Ein Reiseführer der Spukhäuser! Nach Provinzen aufgeteilt sind hunderte gruselige Örtlichkeiten in England, Wales und Schottland aufgeführt ‒ was einen GB-Urlaub der ganz besonderen Art ermöglicht! Schaurig schön.«
Es handelte sich insgesamt um 38 Titel, aus denen ich acht thematische Stapel machte:
Reiseführer und Einzeldarstellungen zu Spuk in Pfarrhäusern und Schlössern in Großbritannien und Amerika.
Biographische und autobiographische Berichte:
Ein Geisterjäger über sein abwechslungsreiches Leben und seine schönsten Fälle: No Common Task – The Autobiography of a Ghost-Hunter by Peter Underwood, President of the Ghost Club . Die Biographie von Sir Oliver Lodge über seinen Sohn Raymond, der als junger Mann im Ersten Weltkrieg fiel und dem Vater Botschaften aus dem Jenseits schickt ( Sir Oliver Lodge: Raymond or Life and Death. With Examples for the Evidence for Survival of Memory and Affection after Death . 3.Auflage 1916 ).
Bücher über die Amityville-Legende aus den USA.
Bücher über das Phänomen der spontanen Selbstentzündung, beispielsweise der schöne Titel » Fire from Heaven«.
Bücher zum Thema Reinkarnation.
Bücher über Poltergeister.
Allerlei Einzeldarstellungen über die andere Seite, zum Beispiel über Engel, Nahtoderfahrungen, Lichttunnel, Enzyklopädie der Geisterwelt, die Zombies von Haiti, irrtümlichen Tod und geheimnisvolle Anhalter ( Phantom-Hitch-Hikers ), die an kurvigen Landstraßen lauern und Autofahrer gefährlich durcheinanderbringen.
Sammelbände fiktiver und zumeist klassischer Gespenstergeschichten.
Der Antiquar meldete sich bei mir per E-Mail, nachdem er vom Internetportal die Bestellbenachrichtigung erhaltenhatte, und verlangte Vorauskasse. Immerhin handele es sich um einen Betrag von über fünfzig Euro, bat er um Verständnis. So beflissen wie erregt versprach ich ihm zügige Überweisung. Zudem schrieb ich, dass ich sehr gespannt auf das Paket sei, da ich mich mit dem Thema auseinandersetzte und eine eigene Publikation dazu plante. Ich kündigte an, mich wieder melden zu wollen, »falls sich nach der Lieferung noch Nachfragen ergeben«.
Der Antiquar schrieb zurück: »Welche Nachfragen sollten sich ergeben?« Immerhin verriet er noch, dass der Sammler ein fanatischer Mann gewesen sei (aber das wusste ich ja schon), der sein gesamtes Leben den Büchern gewidmet hätte. Weil er sich aber mit seiner Familie zerstritten hatte, verkaufte diese nach seinem Tod das ungeliebte Erbe an Händler. »Weitere Nachfragen sind sinnlos«, teilte der Antiquar abschließend mit.
Das Paket wurde furchtsam geöffnet. Das Staunen war groß, und unheimlich war die Sache auch. Geisterfotos, Geisterhäuser, Geisterprotokolle, Geisterwahn, aufgeladen mit den Codes des Authentischen. Der Geruch war nicht schlimm, gar nicht modrig, wie Bücher eben riechen können, wenn sie schlecht gelagert werden. Etwas ratlos packte ich die Bücher wieder in den Karton. Nur zwei der Titel blieben draußen: »Seeing Ghosts« – ein amerikanisches Hardcover, mit einem Edward-Hopper-Bild auf dem Umschlag, »Cape Cod Morning«, auf dem sich eine Frau weit aus einem Fenster beugt. Das zweite war »The Forbidden Zone«, ein Buch mit Reportagen über Personen, für die der Tod ein Teil ihres Lebens ist: Mörder, Bestatter, Detektive, rituelle Schlächter. Das Buch »Seeing Ghosts« kam bald mit auf eine Busfahrt mit dem 245er, ich saß hinten, doch nichts geschah. Niemand sprach mich auf meine spektakuläre Lektüre an. Auch zuhause nicht, mein Mann bemerkte es nicht einmal. Obwohl »The Forbidden Zone« mitten auf der Kommode im Flur lag, mit seinem besonders gruseligen Cover: eine leere weiße Maske mit weit geöffnetem Mundschlitz, an einen Holzstab gepflockt. Und nicht einmal die sonst so angsthasigen Kinder störten sich daran. Ich packte das Paket noch einmal aus. Suchte Notizen und Hinweise in den Büchern, die mir etwas über den fanatischen Sammler hätten erzählen können. Ich googelte seinen Namen, den ich den
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