Die Gespenster von Berlin
Traum.«
»Erzähl doch mal!«, forderte Anne.
Der Maler war skeptisch. »Es war wohl nur ein Traum.«
Dann erzählte er: »Ich lag auf dem Sofa und schlief ein. Eine Frau erschien, sie trug ein Kleid mit Schürze, lange Zöpfe. Wir blickten uns verwundert an. Mir war unwohl, ich wusste nicht, was ich ihr sagen könnte. Dann dachte ich plötzlich: Ich schlafe doch! Ich schloss die Augen und wachte wieder auf.«
Er zeigte Anne ein Bild, das er unmittelbar nach demAufwachen gezeichnet hatte. Die Frau trug Schnürstiefel mit Absätzen, sie wirkte klein und ernst und überarbeitet. Eine Frau wie vor hundert Jahren. Seine Untermieterin.
Die Grufties von Ost-Berlin
Zufällig treffe ich Silke auf der Chausseestraße, wir bleiben stehen und sprechen über die Arbeit und die Kinder, die noch im Jahr zuvor in der Kindertagesstätte ein trautes Paar gewesen sind und sich jetzt gar nicht mehr sehen. Silke ist eine langbeinige und blondhaarige Sportlehrerin, sie spricht schnell und hastet ständig zwischen Volleyballplatz, Schwimmhalle und Universität hin und her. Entweder verschwitzt und rotbackig oder geduscht und dampfend. Sie lebt mit ihrem Mann, einem Meeresbiologen, der als Gastronom im Prenzlauer Berg sein Glück herausfordert, und einer besonders niedlichen kleinen Tochter in Pankow. Als Silke hört, dass ich auf der Suche nach echten Berliner Gespenstergeschichten bin, sagt sie, dazu könne sie etwas beitragen. Dass sie sogar Zeit für mich hat, ist mehr als ein Wunder. Wir gehen in das französische Café Marcann, in der Nähe ihres Volleyballplatzes. Während wir auf unsere Ofen-Baguettes warten, spricht Silke über den Film »Das Geisterschloss«, den sie am Abend zuvor auf Pro 7 gesehen hat. Sie fand den Film spannend, war aber auf dem Sofa eingeschlafen. Richtig gut habe ihr außerdem »Deathwatch« gefallen, ein Horrorfilm, der im Ersten Weltkrieg spielt, wo es einen mysteriösen Nebel gibt, in dem eine Gruppe Soldaten grausig ums Leben kommt. Sie spricht völlig harmlos über diese Filme, als wären es nur irgendwelche Filme. Was im Nachhinein, wo ich von den seltsamen Vorgängen aus ihrer Jugend Kenntnis habe, ein wenig verwunderlich ist. Doch es scheint so zu sein, dass die Gespenster von Berlin einen Menschen wie Silke nicht dazu verleiten können, gleich das ganze Weltbild zu verändern.
Silke wuchs in Ost-Berlin auf, und als die Mauer fiel, war sie siebzehn Jahre alt. Sie kommt aus einer Familie von Lehrern und Apothekern hugenottischer Herkunft. Ihre Vorfahren hießen de Gland bzw. Gland und der Stammbaum lässt sich bis 1670 zurückverfolgen. Die Familie besaß mehrere Häuser und Apotheken in Berlin, bevor sie von der DDR enteignet wurden. Als nach der Wiedervereinigung Zeit war für die Restitution, schlug die West-Verwandtschaft zu. Die lieben Cousins aus dem Westen kannten sich mit dem Anwalts- und Papierkram ja so gut aus.
Silke und ihre Zwillingsschwester Maria wuchsen in einem Altbau im Prenzlauer Berg auf, in einer Seitenstraße der Greifswalder Straße. Das Haus wurde 1910 gebaut und die Fassade schon zu DDR-Zeiten saniert, was selten vorkam. Silkes Oma zog dort nach Kriegsende ein, die Familie war ausgebombt, der Opa gefallen, aber der Hausstand konnte gerettet werden. Die Oma stattete die Wohnung mit dem Mobiliar der Apothekersippe aus, dunkle, schwere Möbel aus dem 19. Jahrhundert. Die blieben dann stehen und stehen heute noch da. Die jüngsten Stücke stammen aus den 1930er Jahren, sind aber kaum weniger dunkel und schwer. In den Schränken das geerbte Geschirr, die fein gestopften Betttücher und die in Leder gebundenen Fotoalben mit den Bildern der Vorfahren. Die aßen an den Festtagen vom selben Geschirr und wickelten ihre Babys in dieselben Betttücher. Am ausführlichsten beschäftigten die Kosakensäbel die Phantasie der heranwachsenden Zwillingsmädchen. Die hingen im Flur und brachten jeden Besucher zum Staunen. Hier ist es ja gruselig, sagten die Leute, wenn sie zum ersten Mal die Wohnung betraten. Silke und Maria überkam in der Wohnungregelmäßig ein Unwohlsein, dessen Quelle die Wohnung selbst zu sein schien. Vor allem die eigentümliche Thermik machte ihnen zu schaffen. Ein kalter Hauch wanderte regelmäßig durch die Zimmer und gab den beiden das Gefühl, beobachtet zu werden. Der kalte Hauch hatte nichts mit dem Lüften, den Türen oder Fenstern zu tun. Man spürte ihn auch in geschlossenen Räumen, wo er den Wäscheständer zum Wackeln brachte. Und wenn die kleinen
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