Die Gewürzhändlerin
Sünden gestraft worden, weil ich überlebt habe und seither mit meiner Entstellung leben muss.»
Entsetzt starrte sie ihn an. «Das … das ist doch nicht wahr? Welche Sünde hättet Ihr denn begangen haben können, die so groß war, dass … Nein, das kann ich nicht glauben. Weshalb hätte Euch der Allmächtige so strafen sollen? Heißt es nicht, er sei barmherzig?»
«So sagt man.»
«Ihr solltet leben.»
«Ich habe überlebt, das ist richtig», sagte er, und ein bitterer Unterton schlich sich in seine Stimme. «Aber es gab eine Zeit, da wollte ich lieber tot sein.»
«Ja, das glaube ich Euch.»
Überrascht merkte er auf. «Ich wollte meinem Leben ein Ende setzen.»
«Ja, aber Ihr habt es nicht getan.»
«Ich hätte es getan, wäre nicht Johann zur Stelle gewesen, der mich davon abgehalten hat.»
«Dann ist ihm nicht genug zu danken.» Etwas ungehalten wischte sie sich die Tränen aus den Augen.
«Ihr seid nicht schockiert?»
«Worüber?»
«Selbstmord ist eine Todsünde.» Abwartend ließ er seinen Blick über ihr Gesicht wandern.
Luzia nickte bedächtig. «Was wollt Ihr von mir hören? Dass ich einen Jungen, der ganz sicher Höllenqualen gelitten hat und damit fertigwerden musste, dass er zeit seines Lebens entstellt sein wird, für seinen Wunsch nach Erlösung verurteile?» Sie schüttelte sachte den Kopf. «Auch ich wollte schon einmal tot sein. Nein, nicht einmal. Viele Male.» Sie stockte und richtete ihren Blick in eine unbestimmte Ferne. «Als ich erfuhr, dass meine Eltern, meine Schwester – fast meine gesamte Familie – der Pest zum Opfer gefallen waren, wollte ich ihnen folgen. Ich dachte, nichts und niemand könne diesen Schmerz jemals von mir nehmen.»
«Aber auch Ihr habt es überlebt.»
«Für Anton», antwortete sie. «Zu Anfang nur für ihn.» Sie schluckte an dem Kloß, der sich in ihrer Kehle gebildet hatte. «Er ist alles, was mir geblieben ist.»
Martin verfluchte sich bereits, noch bevor er die nächsten Worte aussprach, doch sie kamen ihm über die Lippen, ohne dass er es verhindern konnte: «Und dieser Roland? Der Gaukler?»
Sofort veränderte sich Luzias Haltung. Sie versteifte sich und zog die Schultern hoch. Ihr Gesicht verschloss sich, und in ihre Augen trat ein herausforderndes Funkeln. «Was ist mit ihm?»
«Ihr liebt ihn.»
«Ja, ich liebe ihn.»
Die einfache Wahrheit ihrer Worte versetzte ihm einen Stich, der ihn heftiger reagieren ließ, als er vorgehabt hatte. «Ich dachte mir schon, dass Ihr etwas mit ihm habt.»
«Wie bitte?» Obgleich es ihrem Rücken alles andere als guttat, richtete sie sich empört auf und presste hastig die Decke an ihre Brust. «Wie könnt Ihr es wagen, so etwas zu sagen?»
«Ist es nicht so?», zischte Martin, bemüht, nicht zu laut zu werden, um niemanden außerhalb der Kammer aufmerksam zu machen. «Ihr wärmt ihm doch das Lager, oder etwa nicht?»
«Ich …» Luzia schnappte nach Luft. «Ich wärme niemandem das Lager! Und selbst wenn ich es täte, wäre das ganz sicher nichts, was Euch etwas anginge.»
Er richtete sich ebenfalls auf und fixierte sie zornig. «Dann seht mir in die Augen und sagt mir, dass die Bezeichnung Jungfer noch immer auf Euch zutrifft!»
Erbost starrte sie ihm in die Augen … und schwieg.
Mit einem Laut, der irgendwo zwischen Triumph und Resignation lag, ließ er sich auf die Matratze zurückfallen und starrte an die Decke. «Ich verurteile Euch nicht dafür, Luzia.»
«Ach nein? Merkwürdig, ich hatte den Eindruck, dass Ihr genau das tut.» Auch Luzia legte sich wieder hin, rutschte ein wenig vor und zurück, bis auch sie halb auf dem Rücken lag. Umständlich stopfte sie sich die Decke in die Seite, um es bequemer zu haben. Dann starrte auch sie zornig vor sich hin.
Als die Stille zwischen ihnen immer unangenehmer wurde, wandte er ihr den Kopf zu. «Warum seid Ihr damals in Kempenich nicht mit ihm gegangen?»
Luzia mied seinen Blick. «Weil er mich zu sehr geliebt hat, um das zuzulassen.»
«Er liebt Euch noch immer. Ist er deshalb zurückgekehrt?»
«Nein.» Luzia fuhr sich mit einer Hand über die Augen, runzelte die Stirn und tastete gedankenverloren nach den Haarnadeln, mit denen sie ihre Locken hochgesteckt hatte. Da ihr Haar völlig in Unordnung war, zog sie die Nadeln heraus. Martin nahm sie ihr schweigend aus den Fingern und legte sie auf den Boden neben dem Bett.
«Dass wir uns in Koblenz wiedergesehen haben, war reiner Zufall. Er kam mit seiner Truppe zum Jahrmarkt.» Sie zögerte
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