Die Gewürzhändlerin
Zögernd ging sie weiter in den Raum und stellte sich neben Johann, der ihr kurz zunickte.
Der Schultheiß, Hermann Hole von Weis, saß aufrecht hinter seinem Pult und blickte Luzia aus seinen stechend grauen Augen aufmerksam an. Sein von Falten durchzogenes Gesicht wirkte ebenso grimmig wie an jenem Abend vor vielen Monaten, als er Luzia beim Lauschen an der Tür zu Elisabeths Stube erwischt hatte. Bei der Erinnerung spürte Luzia eine leichte Wärme in ihre Wangen steigen. Sie bemerkte ein Zucken um Holes Mundwinkel und wusste, dass er sich ebenfalls erinnerte. Er klopfte leise auf die Tischplatte, woraufhin die Gespräche ringsum verstummten.
«Ihr seid die Jungfer Luzia Bongert, Leibmagd der Gräfin Elisabeth von Manten, Gehilfin des derzeit zu Turme sitzenden Kaufmanns Martin Wied?» Seinem Ton nach klang dies eher wie eine Feststellung denn wie eine Frage.
Trotzdem nickte Luzia. «Die bin ich.»
«Graf Johann berichtete uns soeben, dass Ihr Urkunden in Eurem Besitz habt, die beweisen, dass Wied zu Unrecht verhaftet wurde. Ist dem so?»
«Ja.»
«Warum kommt Ihr erst jetzt damit?»
«Ich wusste nicht … Mir ist erst gestern klargeworden, dass diese Aufzeichnungen Herrn Wied entlasten könnten.»
«Könnten? Ihr seid Euch also nicht sicher?»
«Doch! Doch, ganz bestimmt.»
«Übergebt mir diese Aufzeichnungen.»
Luzia trat an das Pult heran und legte ihr Rechnungsbuch sowie den Kontrakt vor Hole hin. Auf seinen fragenden Blick hin schlug sie das Buch an der entsprechenden Stelle auf und erklärte kurz, was es mit den Einträgen und der Urkunde auf sich hatte.
Hole und die Schöffen hörten sich alles schweigend an. Nachdem Luzia geendet hatte, ergriff der Schultheiß erneut das Wort. «Ihr glaubt, Heinrich Boos habe möglicherweise einen Teil der gestohlenen Spezereien von Ulrich Thal erhalten?»
«So sagte er mir», antwortete Johann an Luzias Stelle.
«Wir werden das überprüfen», sagte Hole und wandte sich erneut an Luzia. «Was macht Euch so sicher, dass dieser Albrecht hinter der Angelegenheit steckt?»
«Herr, er hat es mir sozusagen ins Gesicht gesagt.»
«Sozusagen?»
«Als ich ihn in der Liebfrauenkirche traf. Er verhielt sich mir gegenüber sehr selbstzufrieden. Auch sagte er, Martin würde nun für die Schmach, die er ihm, Albrecht, angetan habe, büßen und dass wir ihm diesmal nichts würden nachweisen können.»
«Diesmal?»
«Damit hat er wohl auf die Vorfälle vor drei Jahren auf der Küneburg angespielt», schaltete Johann sich erneut ein. «Damals hat sein Vater versucht, mittels einer gefälschten Urkunde an den Titel und die Ländereien meines Schwiegervaters zu gelangen.»
Hole nickte ihm kurz zu. «Diese Sache ist mir bekannt.» Er räusperte sich. «Schön und gut. Er hat dies also Euch gegenüber zugegeben. Gibt es dafür Zeugen?»
«Nein.» Luzia schüttelte den Kopf, aber dann nickte sie heftig. «Doch, natürlich! Jungfer Irmhild kann unser Gespräch bezeugen. Sie stand die ganze Zeit bei uns.»
«Jungfer Irmhild?» Hole hob eine Braue.
«Irmhild Thal», beeilte sich Luzia zu erklären.
«Die Tochter des Mannes, den Ihr beschuldigt, in das Komplott verwickelt zu sein? Ich fürchte, dass wir uns auf diese Zeugin nicht werden verlassen können.»
«Vielleicht doch», warf Luzia kühn ein. «Irmhild mag seine Tochter sein, aber ich könnte mir vorstellen, dass sie in diesem Fall nicht unbedingt zu ihrem Vater halten wird.»
«Ach?» Hole kräuselte die Lippen. «Nun, wir werden sehen. Befragt werden muss sie jedenfalls. Die Schöffen Ludinger und Gylo werden sowohl sie als auch Heinrich Boos noch heute hierher vorladen.» Er nickte den beiden Schöffen zu, die sich daraufhin erhoben und den Saal verließen. «Ich möchte nun darum bitten, den Kapitän der Handelskogge
Ludwina
hereinzuführen.» Er nickte Marsilius Grelle zu, der daraufhin aufsprang und ebenfalls fortging.
«Loerbek ist in Koblenz?» Luzia hob erfreut den Kopf.
Hole neigte bestätigend den Kopf. «Gestern Abend ist er eingetroffen. Die Reise hat etwas länger gedauert, da es ihm nach dem Schlag auf den Kopf einige Tage sehr schlecht ging.»
In diesem Augenblick kehrte Grelle mit dem Kapitän zurück. Während sich der Schreiber wieder auf seinen Platz setzte, trat Loerbek mit aufmerksamem Blick an das Pult des Schultheißen heran. Als er Luzia erkannte, lächelte er ihr freundlich zu.
«Kapitän Tilo Loerbek.» Hole nickte ihm zu. «Dies ist zwar keine Gerichtsverhandlung, denn dazu habe ich
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