Die Gewürzhändlerin
gehindert hat, dich wirklich zu verabscheuen.» Ein Lächeln trat auf Augustas Lippen. «Ich bin stolz auf dich, mein Kind. Und ich bin sicher, deine Eltern wären es ebenso. Ich hoffe nur, du kannst mir meine Sturheit verzeihen.»
«Frau Augusta, ich …»
«Ich weiß, dass Martins Anblick dir Angst gemacht hat», fuhr Augusta rasch fort. «Ich glaubte, ich könnte es dir ansehen. Der Allmächtige allein weiß, wie oft ich diesen Blick bereits in den Augen einer Frau wahrgenommen habe. Ich wollte ihn auch bei dir sehen.»
«Ich habe ihn so angesehen», murmelte Luzia.
«Nein, Luzia, das hast du nicht», widersprach Augusta. «Nie. Ich habe immer darauf gewartet, nein, gelauert, aber …» Sie zögerte. «Bei dir war es von Anfang an etwas anderes.»
«Ich wollte nicht, dass er mich berührt oder …» Luzia wurde rot und blickte auf ihre Hände. «Jedes Mal wenn er mir zu nahe kam, dachte ich … glaubte ich …»
«Ich weiß, mein Kind.» Augusta umarmte sie erneut. «Ich bin nicht aus Stein, Luzia. Und ich war einst mit einem Mann verheiratet, der dieselben Gefühle in mir zu wecken vermochte. Sie können beängstigend sein, nicht wahr?»
«Was soll jetzt werden?»
Vorsichtig trat Augusta einen Schritt zurück. «Das liegt einzig und allein an euch beiden.»
* * *
Als Luzia später am Abend auf dem Bett in ihrer Schlafkammer saß, fühlte sie sich erschöpft und erregt zugleich. So viel war heute geschehen, so vieles gab es zu bedenken. Die Erkenntnis, die Elisabeth ihr entlockt hatte, machte ihr Angst. Nicht weniger die Tatsache, dass auch Augusta verstanden hatte, was Luzia so lange versucht hatte, vor sich selbst zu leugnen.
Immer wieder hatte sie sich vorgesagt, dass die überwältigenden Empfindungen, die sie in Martins Gegenwart regelmäßig heimsuchten, auf ihrem Abscheu vor seiner Entstellung beruhten. Ergab dies nicht eine willkommene Entschuldigung, wenn sie in Zweifel geriet, ob der Standesunterschied zwischen ihnen wirklich ein so großes Hindernis war?
Auch hatte sie geglaubt, die Liebe sei grundsätzlich sanft und lieblich, so wie jene, die sie mit Roland geteilt hatte. Mit Martin war alles so anders, ein ständiger Strudel von Gefühlen, ein Auf und Ab der Stimmungen. So hitzig sie sich mit ihm stritt, so heftig war auch die Anziehung, die sie in seiner Gegenwart stets spürte.
Sie hatte sich vor seiner Nähe gefürchtet – doch nicht weil sie seine Brandnarben nicht ertragen hätte. Vielmehr hatte sie Angst davor gehabt, was geschehen würde, wenn sie sich auf die Gefühle einließ, die von seiner Berührung ausgelöst wurden. Unwillkürlich wanderten ihre Gedanken zurück zu der Nacht auf Burg Kempenich, in der sie ihre Bedenken beinahe über Bord geworfen hätte. Noch jetzt spürte sie den Nachhall der Empfindungen, die sie in Martins Armen durchrieselt hatten.
Luzias Herz pochte hart gegen ihre Rippen. Zum ersten Mal gestattete sie sich zuzugeben, dass sie sich nach Martins Nähe sehnte. Erneut streifte sie die Erinnerung an einen ihrer Träume – jenen, in dem sie mit ihren Eltern und ihrer kleinen Schwester gesprochen hatte.
«Mein Leben ist jetzt so anders, so fern von Euch.»
«Besser», sagte Hein bestimmt. «Es ist jetzt besser. Es übertrifft alles, was wir uns je für dich hätten vorstellen können. Wir sind stolz auf dich, was du auch tust. Du wirst uns niemals fern sein.»
«Ich muss meine Herkunft verleugnen», begehrte Luzia auf. «Das ist nicht recht euch gegenüber.»
«Du musst tun, was für dich das Beste ist, Luzia», erklärte Trinchen mit überraschend erwachsener, weiser Stimme.
Traud nickte dazu. «Entscheide dich, mein Kind.»
Langsam stand Luzia auf und trat an das kleine Fenster, durch das laue Frühlingsluft in ihre Kammer wehte. Still blickte sie hinaus in die Dunkelheit der Nacht.
War es das Beste für sie, wenn sie ihrem Herzen folgte? Wie konnte es falsch sein? Hatten nicht schon so viele Menschen ihr zu verstehen gegeben, dass es töricht wäre, eine Gelegenheit wie diese vorüberziehen zu lassen? Metza, die Äbtissin der Zisterzienserinnen, war die Erste gewesen. Augusta und selbst Elisabeth hatten angenommen, dass Luzia die Vorteile der Verbindung mit einem der reichsten und einflussreichsten Handelsherren von Koblenz für sich nutzen wollte. Und nicht zu vergessen – selbst die Hurenwirtin Klarissa hatte ihr dazu geraten. Bei der Erinnerung an das Gespräch mit ihr musste Luzia schmunzeln. Klarissa war eine außergewöhnliche Frau,
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