Die Gewürzhändlerin
der fremden Frau verhalten sollten. Luzia nahm es ihnen nicht übel, ging es ihr doch sehr ähnlich. Inmitten von Martins Familienmitgliedern fühlte sie sich einmal mehr am falschen Platz und war froh, dass außer ihm niemand wusste, wer sie in Wirklichkeit war. Wie würde wohl Augusta reagieren, wenn sie erführe, dass eine Bauerntochter die wertvollen Würzwaren und Duftöle sortierte, die Martin aus der Fremde mitgebracht hatte?
Während Anton mit einem Besen und einem Lappen die Regale reinigte, setzte sich Luzia an den provisorisch aufgestellten Tisch zu den beiden Mädchen. Konrad stellte eine große Kiste neben ihr ab, die diverse Krüge und Säckchen enthielt, öffnete sie nacheinander oder prüfte die bunten Bänder, mit denen sie gekennzeichnet waren, und nannte ihr dann den Namen der Waren. Einige Gewürze wurden zusätzlich gewogen, wenn die Kennzeichnung das Gewicht nicht bereits verriet. Luzia schrieb alles sorgfältig auf eine große Wachstafel. War sie voll, übergab Luzia sie einem der Mädchen, die die Eintragungen in den Büchern ergänzten und ihr die Tafeln mit den bereits abgearbeiteten Listen zurückgaben. Diese mussten zunächst wieder geglättet werden, bevor Luzia sie erneut mit dem Griffel beschreiben konnte.
So arbeiteten sie den Vormittag über einträchtig, bis schließlich Augusta in der Tür erschien und alle zu einem frühen Mittagessen einlud. Zunächst zögerte Luzia, doch da die Einladung sie und Anton mit einschloss, folgten die beiden den anderen ins Haus. Luzia aß mit Appetit, hielt sich jedoch aus den Tischgesprächen heraus, die sich ausschließlich um Themen drehten, die mit der Familie Wied verbunden waren.
«Ihr seid recht schweigsam», stellte Augusta fest. «Ich hoffe, es schmeckt Euch?»
«Aber ja, ausgezeichnet», beeilte sich Luzia zu versichern. «Ich wollte Euer Gespräch nicht unterbrechen.»
«Ja, was hättet Ihr wohl auch zu unserem belanglosen Geschnatter anzufügen», sagte Augusta mit einem halben Lächeln. «Es ist recht unhöflich von uns, Euch einfach zu übergehen. So erzählt uns doch, wie es kommt, dass eine Edelmagd nicht nur lesen und schreiben, sondern auch noch besser rechnen kann als so mancher Gelehrte. So zumindest hat Martin es mir gegenüber formuliert.»
Luzia errötete. «Da hat er sicherlich übertrieben, Frau Augusta. Gewiss, das Rechnen fällt mir nicht allzu schwer, und es macht mir Freude …»
«Freude?», unterbrach Marcella sie entsetzt. «Wie kann Euch etwas so Langweiliges nur Freude bereiten? Ich finde diese ganze Rechnerei entsetzlich langweilig. Und schwierig. Ohne Rechenbrett könnte ich das nicht.»
«Ich hatte zu Anfang keinen Abakus zur Verfügung, mit dem ich hätte üben können», erklärte Luzia. «So musste ich lernen, die Rechenoperationen im Kopf auszuführen. Bruder Georg, der Beichtvater meiner Herrin, brachte mir vor etwa anderthalb Jahren ein Rechenbrett von einem Händler in Trier mit. Seither habe ich auch damit gelernt, aber es fällt mir meistens leichter, ohne dieses Hilfsmittel zu rechnen.»
«Unglaublich», befand Augusta. «Ihr müsst eine Laune der Natur sein. Nicht, dass ich einer Frau kein Talent zusprechen würde, aber derart ausgeprägt wie bei Euch ist es doch selten, will ich meinen. Habt Ihr bei den Nonnen gelernt oder bei den Beginen?»
«Nein.» Luzia warf ihrem Bruder einen kurzen Blick zu. «Frau Elisabeth hat mir während der Zeit, die sie auf Burg Kempenich verbracht hat, das Lesen und Schreiben beigebracht.»
«Ach?» Augusta legte verwundert ihren Löffel aus der Hand und beugte sich ein wenig vor. «So seid Ihr also tatsächlich mehr eine Gesellschafterin für sie denn eine Magd? Wirklich sehr ungewöhnlich. Aber es war eine wahrhaft christliche Tat, Euch und Euren Bruder aufzunehmen und nach dem Tode Eurer Familie weiter für Euch zu sorgen. Habt Ihr keinerlei Verwandtschaft mehr?»
«Leider nicht.» Luzia senkte den Kopf.
«Das tut mir sehr leid.» Augusta betrachtete Luzia eingehend. «Woher stammt Eure Familie eigentlich?»
Luzia schluckte und biss sich auf die Unterlippe. Sie hatte mit dieser Frage bereits gerechnet. Ehe sie jedoch zu einer Antwort ansetzen konnte, betrat Martin die Stube. «Ah, wie ich sehe, seid ihr bereits beim Essen», sagte er mit einem breiten Lächeln und setzte sich auf seinen Platz. «Ich hoffe, ihr seid im Lagerhaus bereits gut vorangekommen, Konrad?»
«Das sind wir», bestätigte sein Bruder. «Noch eine, höchstens zwei Stunden, dann
Weitere Kostenlose Bücher