Die Gilde von Shandar: Die Spionin
und mahnte ihn kaum hörbar: »Bleibt ruhig stehen, bis Surabar vorbeigekommen ist. Dann werden wir ein wenig spazieren gehen.«
Lange mussten sie nicht warten, denn der General näherte sich ihnen. Als er gemessenen Schrittes an ihnen vorüberging, musste Femke grinsen, denn sie sah, dass der General die Kühnheit besessen hatte, den Mantel des Kaisers über seiner vollen Uniform inklusive der Rüstung anzulegen. Eine weise Vorsichtsmaßnahme, dachte sie. Das würde die Lords der alten Schule, die sich an seiner Herkunft stießen, wütend machen, aber daran konnte man nichts ändern.
»Gut, Mylord«, flüsterte Femke, dicht an Lord Kemptens Schulter gelehnt. »Lasst uns gehen. Und bewegt Euch bitte so ruhig wie möglich. Ich möchte Euch nicht aus Versehen stechen; es wäre sehr peinlich, wenn Ihr hier vergiftet werden würdet. Das wollen wir doch beide nicht, oder?«
Lord Kempten schüttelte vorsichtig den Kopf. Geführt von Femkes Hand in seinem Rücken, löste er sich von der Soldatenreihe und wich in die Menge zurück. Langsam begaben sie sich zwischen den Lords und ihren Damen hindurch, sorgfältig darauf achtend, nichts zu tun, was von General Surabars Gang ablenken konnte.
Femke überlegte rasch, während sie Lord Kempten an die Seite der Halle bugsierte. Sie hatte ihn in ihrer Macht, aber was sollte sie mit ihm tun? Sie kam auf den Gedanken, ihn in eine Zelle zu sperren, bis sie ihn Surabar übergeben konnte. Das wäre die logischste Lösung gewesen, doch Femke wusste, dass Surabar keine Gnade walten lassen würde, wenn Lord Kempten letztendlich gestand. Er würde so sicher sterben, als hätte sie ihn vergiftet. Surabar war zwar fair, aber immerhin hatte Kempten geplant, den zukünftigen Kaiser zu ermorden. Das war ein Kapitalverbrechen. Femke wollte ihr Gewissen nicht mit einem weiteren Toten belasten. Gab es denn keine Möglichkeit, diese Situation ohne weiteres Blutvergießen zu klären?
An der Seitenwand der Großen Halle standen die Leute nicht mehr so eng, und als die volle Stimme des Obersten Geistlichen von Shandar die Anfangssätze der Krönungszeremonie verkündete, schob sich der größte Teil der Menge vor, um zuzusehen und zuzuhören. Solange sich die Leute auf den vorderen Teil der Halle konzentrierten, war es leicht, Lord Kempten mit geflüsterten Befehlen langsam zum nächsten Ausgang zu führen. Die Tür war verschlossen. Femke wäre auch überrascht gewesen, wenn sie nicht gesichert gewesen wäre. An diesem Tag würde General Surabar keine so offensichtlichen Sicherheitslücken zulassen. Der einzige Weg aus der Halle führte durch den Haupteingang, der im Augenblick von Dutzenden von Soldaten gesäumt war. Es half nichts. Es war völlig ausgeschlossen, vor dem Ende der Veranstaltung zu gehen.
»Mylord, wir werden uns so nahe wie möglich zum Ausgang begeben. Wir gehen, sobald unser neuer Kaiser den Saal verlassen hat. Ich versichere Euch, ich wünsche nicht, dass Euch etwas geschieht. Ganz im Gegenteil, aber bevor ich Euch aus dem Palast lassen kann, müssen wir uns irgendwo in Ruhe unterhalten.«
»Ihr werdet mich freilassen, Lady Alyssa? Das ergibt keinen Sinn. Ich dachte, Ihr wolltet mich den Wachen übergeben. Ihr steckt voller Überraschungen, junge Dame. Woher wusstet Ihr, was ich vorhatte?«, fragte Lord Kempten in aufgeregtem Flüsterton, der viel leiser hätte sein können.
Femke bedeutete ihm, ohne die Lippen zu bewegen, zu schweigen, und nickte leicht zu dem erhöhten Podium am hinteren Ende der Halle hinüber. »Konzentriert Euch auf die Zeremonie, Mylord. Wir werden beobachtet und ich will keinen Verdacht erregen. Lasst uns vorerst davon ausgehen, dass ich Augen im Kopf habe und sie auch benutze. Es war offensichtlich. Ich will nicht, dass Ihr Euer Leben unnötig wegwerft. Shandar braucht Euch und Leute wie Euch. Wir reden später weiter.«
Die letzte schmeichelhafte Bemerkung sollte dazu beitragen, dass sich Lord Kempten entspannte, und zeigte auch den gewünschten Effekt. Als sie sich dem Ende der Halle näherten, sah Femke, wie sich Lord Danar durch die Menge schob, um ihnen zu folgen. Innerlich verfluchte Femke die unangenehme Begegnung. Danar war leicht auszumachen, nicht nur, weil er größer war als die meisten anderen, sondern weil er der Einzige in der Halle war, der ganz offensichtlich nicht zum Podium sah. Sie brauchte einen freien, ungestörten Fluchtweg und keine unnötigen Komplikationen, die ihr Möchtegern-Verehrer darstellte.
Während der Oberste
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