Die Gilde von Shandar: Die Spionin
Fingern am Stoff zerrte. Bevor sie die Stelle erreichte, an der sie nach unten gelangen konnte, musste sie an vier großen Fenstern vorbei. Sie hatte Angst, von drinnen gesehen zu werden, aber das Glück war auf ihrer Seite, und die Zimmer waren alle leer. Als sie den Punkt erreichte, von dem aus sie absteigen wollte, gab es für sie keine Anzeichen, dass derjenige, der an ihre Tür geklopft hatte, hier draußen nach ihr suchte.
Femke verrenkte sich den Hals, um über die Schulter sehen zu können. Von ihrem Fenster aus betrachtet, hatte der nächste Baum viel näher an der Wand gestanden. Jetzt ließ die Entfernung zwischen dem Fenstersims und dem nächsten Zweig sie befürchten, dass sie Flügel brauchte, um den Abgrund dazwischen zu überwinden.
Sie überlegte, was sie tun konnte, aber ihre Möglichkeiten waren begrenzt. Auch wenn sie nur im ersten Stockwerk war – der Westflügel war groß angelegt und alle Räume hatten hohe Decken. Selbst wenn sie sich so weit herunterließ, dass sie einzig mit den Fingerspitzen am Sims hing, würde sie noch über zwanzig Fuß bis zum Boden fallen. So tief zu fallen, barg das Risiko, sich etwas zu brechen. Bestenfalls würde sie sich blaue Flecken und Schmerzen zuziehen, die sie im Moment nicht gebrauchen konnte.
Sie konnte auch auf dem Sims weitergehen, um die nächste Ecke, durch ein Fenster einbrechen und darauf hoffen, in den Gängen lange genug unentdeckt zu bleiben, bis sie eine Treppe nach unten gefunden hatte. Doch da man bereits nach ihr suchte, waren die Risiken inakzeptabel.
Der Sprung in den nächsten Baum schien das Einzige zu sein, was ihr blieb, doch sie scheute davor zurück. Konnte sie so weit springen? Wenn sie den Ast verfehlte, könnte sie dann vielleicht weiter unten einen zu fassen kriegen, oder hätte sie zu viel Schwung, um ihren Sturz zu bremsen?
Femke hatte noch nie Angst vor dem Tod gehabt und gelegentlich grenzte ihre Tapferkeit an Tollkühnheit. Dies war einer dieser Momente. Sie schloss die Augen, um sich zu konzentrieren. Einen nervenzerreißenden Augenblick lang schien die Zeit still zu stehen und ihr Herz drohte ihr bis in die Kehle zu klettern, als sie die Knie zum Sprung beugte. Adrenalin kreiste durch ihre Adern und dann explodierte sie förmlich aus ihrer Hocke und warf sich mit aller Kraft rückwärts Richtung Baum. Mitten in der Luft drehte sie sich und streckte sich wie ein Trapezkünstler, um nach dem sich schnell nähernden Ast zu greifen.
Der Sprung war perfekt: Ihre Hände fanden den Ast, auf den sie gezielt hatte – doch zu ihrem Entsetzen war er zu dick, als dass ihre Finger ihn hätten gut umspannen können. Sie schwang unter dem Ast hindurch, verlor den Halt und stürzte mit den Füßen voran in den Baum. Wieder drehte sie sich im Flug wie eine Katze, die sich vor dem Aufprall in die richtige Position bringt, und schaffte es, nach unten zu sehen, gerade als ihr Körper auf einem der unteren Zweige aufschlug. Der Ast traf sie so abrupt in den Magen, dass ihr die Luft wegblieb. Tränen stiegen ihr in die Augen, als die erste Welle von Schmerzen über ihren Körper flutete.
Über dem Ast hängend, blieb Femke nicht viel Zeit, ihr Gleichgewicht wiederzufinden. Noch bevor sie sich von dem Aufprall erholen konnte, begann sie, mit den Füßen voran weiter abzugleiten. Panisch griff sie mit Händen und Füßen um sich, bevor sie einen Halt für die Füße fand und die Balance wiederfand. Für den Moment war sie in Sicherheit, doch wenn sie weiterhin in dem unbelaubten Baum blieb, würde man sie entdecken. Sie musste über die äußere Palastmauer in die Stadt entkommen, wollte sie lange genug in Freiheit bleiben, um ihre Unschuld zu beweisen.
Die Muskeln in ihrem geprellten Bauch protestierten gegen den Abstieg, aber sie durfte sich keine Pause gönnen und hangelte sich weiter hinunter. Als sie sich vom untersten Ast auf den Boden fallen ließ, erklang ein Schrei aus dem Fenster ihres Zimmers im ersten Stock. Die Jagd begann. Sie rannte auf die äußere Mauer zu. Undeutlich nahm sie wahr, dass irgendwo von rechts die Rufe erwidert wurden.
Sie erreichte die Mauer, die hoch über ihr aufragte. Auf den ersten Blick wirkte sie vollkommen glatt, doch von einem Spaziergang auf dem Gelände des Palastes wusste sie, dass das nicht überall der Fall war. An vielen Stellen wiesen die Steine der Mauer genügend Spalten auf, dass ein geschickter Kletterer ausreichend Halt darin finden konnte, um sie mühelos zu überwinden. Sie musste nur
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