Die Gilde von Shandar: Die Spionin
gewinnen war. Sollte er ihr folgen? Er wusste nicht einmal, in welcher Stadt sie wohnte, doch in den Küstenstädten gab es sicherlich nur wenige Frauen mit ihrem Rang, auf die ihre Beschreibung passte. Er konnte versuchen, ihrer Route zu folgen. Wenn er sie verlor, konnte er sich in der nächsten Küstenstadt nach ihr erkundigen. Würde sie sich von seiner Hartnäckigkeit beeindruckt zeigen, wenn er ihr nachritt, oder würde er eine Nervensäge darstellen, der sie aus dem Weg zu gehen versuchte? Es war eine schwierige Frage. Danar kannte Alyssa noch nicht gut genug, um das beurteilen zu können.
»Egal was ich tue, ich muss mich jetzt entscheiden. Wenn ich es noch länger aufschiebe, ist ihre Spur kalt«, murmelte er, blieb stehen und sah einen Moment ins Leere. »Es hat keinen Sinn. Ich muss etwas tun. Wenn ich sie gehen lasse, sehe ich sie möglicherweise nie wieder. Ich will mich nicht den Rest meines Lebens fragen, was sich hätte entwickeln können. Richtig oder falsch, ich muss ihr nach.«
Es herrschte viel Betrieb auf den Straßen. Es war fast Zeit für die Mittagsglocke, und bald würde es noch voller werden, wenn die Menschen, die irgendwo arbeiteten, zum Mittagessen gingen. Die Leute liefen zielstrebig vorüber. Niemand hatte Zeit für ein Schwätzchen, und diejenigen, die sich unterhielten, taten es in kurzen, abgehackten Sätzen. Jeder hatte es eilig. Nachdem er seinen Entschluss gefasst hatte, stürzte sich Danar in die Menge und machte sich ans Werk.
Er hinterließ seinen Freunden und seiner Familie Nachrichten, dass er die Stadt eine Weile verlassen würde, und besorgte sich die notwendige Reiseausrüstung. Er war noch nicht viel herumgekommen und noch nie allein unterwegs gewesen. Weder hatte er mit dem Aufschlagen von Lagern große Erfahrung noch kannte er die Straßen, auf denen er reisen wollte. Als er später am Nachmittag das Haus seines Vaters verließ und die Allee nach Osten hinunterritt, waren seine Satteltaschen nur ungenügend gefüllt, seine Ausrüstung mangelhaft und seine Pläne gerade mal im Ansatz vorhanden. Er ritt wie mit Scheuklappen – seine Schwächen völlig ignorierend und nur auf sein Ziel konzentriert.
Als er Shandrim verließ, war das Wetter schön, was seine Illusion, dass die Reise ein angenehmes Abenteuer werden würde, noch verstärkte. Er hatte ein gutes Pferd aus dem Stall seines Vaters, ein scharfes Schwert und viel Geld. Er war auf alles vorbereitet. Es war Ironie des Schicksals, dass er die Stadt gerade in Richtung Osten verließ, als Femke sie, von Süden kommend, wieder betrat.
Femke hatte zwei Tage im Palast von Thrandor verbracht, bevor der Zauber des Luxus jäh gebrochen wurde.
»Mylady, Mylady!«, keuchte Kalheen, als er ohne Vorwarnung in ihr Zimmer platzte.
»Wo sind deine Manieren, Kalheen!«, rief Femke vorwurfsvoll. »Du bist lange genug im Dienst, um zu wissen, dass man nie einen Raum betritt, ohne vorher anzuklopfen, schon gar nicht den einer Dame!«
Sie war erstaunt, dass er eine so grundlegende Regel des Protokolls gebrochen hatte. Wenn er sich einbildete, er könnte sich ihr gegenüber Freiheiten herausnehmen, weil sie drei Wochen zusammen gereist waren, dann würde sie ihn so hart zurechtweisen, dass er sich solch unsinnige Ideen sofort wieder aus dem Kopf schlug.
»Es tut mir leid, Mylady«, rief er, außer Atem vor Anstrengung, zu ihrem Zimmer gerannt zu sein. Femke konnte sich nur schwer vorstellen, wie weit Kalheen gelaufen war, da sie die Anlage des Palastes immer noch nicht genau kannte. Er war nicht sehr fit, daher schätzte sie, dass es nicht sehr weit sein konnte. »Ich verspreche, ich werde in Zukunft auf meine Manieren achten, aber das hier ist zu wichtig, um höflich zu warten. Es hat einen Mord gegeben, Mylady – hier im Palast.«
»Einen Mord, Kalheen? Wer ist ermordet worden?«, fragte Femke, der sich die Nackenhaare aufstellten. Instinktiv wusste sie, dass ihr Kalheens Antwort nicht gefallen würde.
»Baron Anton, Mylady. Er wurde heute Morgen tot in seinem Zimmer gefunden. Aber das ist noch nicht das Schlimmste …«
»Heraus mit der Sprache, Kalheen, was ist los?«
»Alle glauben, dass Ihr ihn ermordet habt«, stieß Kalheen keuchend hervor. »Nun, wenn ich sage alle , dann nehme ich mich natürlich aus. Auch Phagen, Sidis und Reynik werden es nicht glauben, aber die Thrandorianer sind überzeugt, dass Ihr ihn getötet habt. Es sind Wachen hierher unterwegs, um Euch festzunehmen. Deshalb bin ich gerannt. Ihr
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