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Die Gilden von Morenia 01 - Die Lehrjahre der Glasmalerin

Titel: Die Gilden von Morenia 01 - Die Lehrjahre der Glasmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mindy L. Klasky
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jetzt nicht schüchtern werden. Sprich zu den Menschen und nenne ihnen deine Gilde.«
    Rani hasste es, die Lüge aussprechen zu müssen, hasste es, für diesen alten Mann, der ebenso viel gelitten hatte wie sie, eine Geschichte erfinden zu müssen. Dennoch durfte sie nicht zulassen, dass er sich vor seinem Volk zum Narren machte. Sie schluckte erneut schwer und verkündete dann ihre angebliche Gilde, schleuderte die Worte an Jairs Wächtern vorbei in die hintersten Ecken der Kathedrale: »Ich bin eine Bardin, Euer Majestät. Oder eher, der Lehrling eines Barden.«
    »Dann wirst du die Geschichte deiner Reise angemessen ausführen können, Erste Pilgerin! Du wirst Generationen mit deinen Geschichten über das ein Jahr währende Leben im Palast unterhalten können. Aber bevor du ins Haus von Jair eintreten kannst, musst du all deine weltlichen Güter ablegen, Marita. Welche Bürden trägst du in dieses Haus der Tausend Götter?«
    Rani fasste unwillkürlich mit einer Hand in den Beutel an ihrer Taille. Ihre Finger strichen über den kleinen Kreis aus Kobaltglas, den sie von ihrer wahren Gilde gehortet hatte. Wenn sie genug Zeit hätte, könnte sie vielleicht eine Geschichte ersinnen, warum der Lehrling eines Barden ein Bruchstück reinen, farbechten Glases bei sich trug. Jetzt war sie jedoch nicht darauf vorbereitet, eine solche Lüge zu vertreten. In den Waagschalen der Gerechtigkeit ruhte bereits das Gewicht ihrer Seele. Die zusätzliche Last, Schweigen über das Kobaltglas zu bewahren, war unwesentlich.
    Sie griff tiefer in den Beutel und fand etwas, wovon sie glaubte, dass es den Verteidiger zufriedenstellen würde. Während sie die Puppe aus dem Beutel an ihrer Taille nahm, bemühte sie sich, ihren Körper so zu drehen, dass sie der Menge verborgen blieb. Das Püppchen war ein albernes Kinderspielzeug, das keinen Platz mehr im Leben eines Mädchens hatte, das im Dienste der Bruderschaft einen der Männer des Königs getötet hatte. Verlegene Röte überzog ihre Wangen.
    »Was hast du da?«, rief König Shanoranvilli aus und schien in diesem prächtigen Rahmen frommer Hingabe zum ersten Mal überrascht.
    »Eine Puppe, Euer Majestät.« Ranis Flüstern ging im Gewölbe der Kathedrale unter.
    »Eine was?«, rief der König aus, und sie hätte ihm, so ungläubig, wie er klang, Mondlicht und Feenstaub geboten haben können.
    »Eine Puppe, Euer Majestät.« Rani improvisierte. »Meine Mutter schenkte sie mir, bevor wir unsere Reise begannen.«
    Der König nickte ernst, während er das Angebot annahm und die Puppe auf den Altar setzte, wobei ein Lächeln seine Mundwinkel verzog. Die versammelten Pilger murmelten bei dieser Wendung der Ereignisse belustigt. Auch wenn sie einen so jungen Ersten Pilger vielleicht ablehnten, konnten sie doch kaum den reinen Unterhaltungswert dieses Schauspiels verkennen, »Sie muss dir viel bedeuten, wenn du sie während deiner gesamten Pilgerschaft bewahrt hast.«
    »Ja, Euer Majestät. Ich habe meine Mutter geliebt.«
    »Gut gesprochen, Marita. Wir alle sollten unsere Mütter lieben.« Und unsere Söhne, mochte der König im Geiste hinzugefügt haben, da die Kummerfalten auf seinem Gesicht noch tiefer wurden. »Und hast du noch andere Dinge beiseitezulegen, bevor du zum Altar heraufsteigst und die Verantwortung als Erste Pilgerin im Königreich Morenia übernimmst?«
    Die Kobaltglasscheibe zog Ranis Beutel hinab wie Blei, aber sie schüttelte den Kopf und antwortete laut: »Nein, Euer Majestät.«
    »Sehr gut, Erste Pilgerin. Leg deinen Amtsumhang und die Last deines Tausendspitzigen Sterns ab und werfe dich vor diesem Altar und den Augen der Tausend Götter nieder.« Der König streckte seine königlichen Hände nach Ranis Umhang aus, und ihre Finger handhabten automatisch die kunstvoll gestaltete Spange. Sie konnte kaum glauben, dass sie – sie, eine Händlertochter – den König warten ließ, als wäre er ihr eigener Kammerdiener. Ah, die Geschichten, die sie Varna so gerne erzählen würde. Oder Mair. Oder Shar.
    Rani kam dem Befehl des Königs nach, sich vor ihm hinzuknien und dann vor dem Altar auszustrecken. Sie drehte sich auf den Rücken, während sie den alten Mann mit stetigem, vertrauensvollen Blick unverwandt ansah. Die Sonne wählte genau diesen Moment, um hinter einer Wolkenbank hervorzukommen, und ein Streifen strahlend blauen Lichts strömte durch das höchste Fenster in die Kathedrale – blaues Licht für den Verteidiger. Ranis Blick wurde vom letzten Werk der

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