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Die Gilden von Morenia 01 - Die Lehrjahre der Glasmalerin

Titel: Die Gilden von Morenia 01 - Die Lehrjahre der Glasmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mindy L. Klasky
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die Menge die von ihm ausströmende Macht aufsaugte, und dann nickte er dem Hauptmann der Wache kurz zu. »Fangt an.«
    Rani konnte den Blick nicht von dem schimmernden Stahl wenden, musste unwillkürlich zusehen, wie sich die Sonne auf dieser glänzenden Zunge spiegelte. Einen kurzen Augenblick wurde sie in die Halle der Glasmaler zurückkatapultiert, die es im Gildeviertel nicht mehr gab. Sie erinnerte sich, wie ein ähnlicher Dolch Larinda getroffen hatte. Sie dachte an das Blut, das ihrem Mitlehrling entwichen war, und sie schrie fast auf, hätte Hal beinahe um Gnade für den Händler gebeten, für einen Mann ihrer Kaste.
    Doch der Wiegemeister kannte die Regeln des Marktplatzes. Er hatte seine gesamte Kaste besudelt, als er das Gesetz brach. Hals Urteil war fair – und erfolgte barmherzig schnell.
    Jubel stieg von der Menge auf, als der Wächter die verstümmelte und blutende Hand des Händlers anhob.
    Hal nahm die Zustimmung mit einem Nicken zur Kenntnis und bedeutete dem Wächter mit einer knappen Geste, den Mann freizugeben. Der Mann stolperte über den Marktplatz und musste sich dabei unter einem Ansturm von faulem Gemüse und Abfall hinwegducken. Erst als der Verbrecher verschwunden war, wandte sich Hal wieder seiner Gruppe zu. »Genug.« Seine Stimme klang heiser, und er keuchte, als wäre er eine Meile weit durch die Straßen der Stadt gerannt. Die Haut um seine Augen war straff, angespannt, und Rani war überrascht, dass seine Stimme nicht schwankte. »Jair hat zu mir gesprochen, durch mich gesprochen. Ich muss zu Jair beten, zu den Göttern beten, zu all den Tausend Göttern beten. Lasst uns den Markt verlassen. Verlassen, verlassen, verlassen.«
    Rani folgte den Prinzen, während die Wächter den Weg räumten. Sie machte sich Sorgen um Hal, Sorgen wegen der Erschöpfung, die sie in seinen Zügen erkannte. Sein Handeln hatte ihn ausgelaugt, als könnte er an einem Tag nicht mehr Kraft aufbringen, als wäre sie ganz in dieser Darbietung der Willensstärke verbraucht worden.
    Eine Darbietung der Willensstärke, aber welch eine Darbietung es war… Rani hatte das Blitzen in den Augen des Prinzen gesehen, als er befahl, den Mann zu bestrafen. Sie hatte den Nervenkitzel der Macht erkannt. Hal war in die Aufgabe hineingewachsen, die Peitsche des Königtums zu schwingen. Tief in seinem verwirrten Geist verlangte es ihn nach der Krone.
    Rani schwirrte der Kopf, während sie durch die Straßen der Stadt gingen. Ihre Finger tasteten unwillkürlich nach dem Metallband um ihren Arm. Sie konnte die rubinroten Augen der Schlangen durch den Stoff fühlen. Jetzt war sie dankbar dafür, dass sie keine Gelegenheit gehabt hatte, Bardo nach Bashis törichter Darbietung mit den Wächtern am Abend zuvor aufzusuchen. Der jüngere Prinz hatte gewiss nicht die Stärke gezeigt, die sein Bruder gerade offenbart hatte.
    Nun sehnte sich Rani danach, Bardo zu finden, denn sie wollte ihm unbedingt erzählen, dass sie die Lösung des Rätsels kannte, das er ihr aufgegeben hatte. Sie glaubte zu wissen, wer sich gegen den König verschworen hatte, wer Prinz Tuvashanoran hatte auslöschen wollen. Sie wollte verkünden, dass Halaravilli – ein Prinz, der fast ohne mit der Wimper zu zucken den Befehl geben konnte, den Daumen eines Untertanen abzutrennen – derjenige war, den die Bruderschaft suchte.
    Rani war so sehr damit beschäftigt, sich die Freude ihres Bruders vorzustellen, dass sie kaum bemerkte, dass sich die Prinzen durch die Straßen der Stadt der Kathedrale näherten. Rani schaute erst auf, als sie die Schwelle ins Mittelschiff überschritten, als sie erkannte, dass die Soldaten zurücktraten, ihr Platz machten, weil sie die Erste Pilgerin war und es ihr zustand, ins Haus der Anbetung voranzugehen.
    Als Rani eine Sekunde zögerte, begann Bashi zu nörgeln. »Was willst du, Hal? Warum hast du uns hierhergeschleppt? Cook wird wütend sein, wenn wir nicht nach Hause kommen.«
    »Den Frieden Jairs, die Anleitung Jairs. Nach dem Licht der Tausend Götter suchen.« Hal ging das Mittelschiff der Kathedrale hinab, ignorierte die angebliche Autorität der Ersten Pilgerin. »Den Frieden Jairs. Die Anleitung Jairs. Der Prinz handelt für die Gerechtigkeit, der Prinz handelt für den Frieden.«
    Von Hals Geplapper und der Vertrautheit des Weges, den sie beschritten, eingelullt, erkannte Rani beinahe nicht, dass der Prinz sie das Seitenschiff hinabführte, unbeirrt zu dem kleinen Steinaltar schritt, den Rani so gut kennen gelernt hatte.

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