Die Gilden von Morenia 01 - Die Lehrjahre der Glasmalerin
musste sofort Bardo erreichen. Sie musste Bardo von dem Irrtum berichten, dem sie beide erlegen waren, von ihrer Torheit, dem Schatzmeister zu vertrauen. Sie hatte die ganze Zeit Recht gehabt – es war klug von ihr gewesen, den Mann zu fürchten, der Ausbilderin Morada geschlagen und die Glasmalerin der Palastwache übergeben hatte. Sie hatte Recht damit gehabt, den Mann zu fürchten, der ihre Adern aufgeschnitten hatte, der die Schlangen im verborgenen Raum der Bruderschaft mit ihrem Blut gefuttert hatte. Rani erkannte, dass sie keine andere Wahl hatte. Sie musste augenblicklich zur Kathedrale gelangen, ohne ihren gefährlichen Wachhund Marcanado.
Während die Prinzen noch im Gebet knieten, durchquerte Rani das Kinderzimmer. Die Familie hatte sich an ihr merkwürdiges Kommen und Gehen gewöhnt, so dass sie hoffte, dass niemand bemerken würde, wie früh sie sich davonstahl. Ihr Herz hämmerte, als keine der Kinderfrauen reagierte, und dann schlich sie den fackelbeleuchteten Gang hinab, hielt sich in den Schatten, als würde das Marcanado daran hindern, seine nächtliche Mission aufzunehmen.
Als sie den Haupthof betrat, gönnte sie sich einen Seufzer der Erleichterung. Vielleicht wachte Lan persönlich über sie, hielt sie vor den gleichmütigen Augen des Wachhundes verborgen. Rani eilte über die Pflastersteine, erreichte das Tor und schreckte den freundlichen Wächter auf.
»He da!«, rief er und trat aus den Schatten des kleinen Häuschens neben dem Tor. Er steckte das Schwert wieder ein, das er zu ziehen begonnen hatte. »Ihr seid heute Abend früh dran, junge Pilgerin!«
»Ja«, antwortete Rani angestrengt. »Ich muss zur Kathedrale. Die Tausend Götter sind heute Abend unruhig, und ich muss um Frieden beten.«
»Wo ist Euer Soldat, Kleine? Es ist noch immer nicht sicher auf den Straßen der Stadt«, schalt der Mann sie.
»Er ist bei den Prinzen. Der gesamte Haushalt ist wegen der heutigen Geschehnisse auf dem Marktplatz in Aufruhr. Selbst die Prinzessinnen sind außer sich.«
»Ich habe strenge Anweisungen…«
»Es ist wichtiger, dass Marcanado heute Nacht bei den Prinzen bleibt«, beschwatzte Rani den Mann und gewährte ihm ihr gewinnendstes Lächeln. »Außerdem kenne ich den Weg inzwischen. Ich könnte ihn sogar im Schlaf finden.«
»Es könnte mich meinen Posten kosten, wenn ich Euch gehen ließe.«
»Unsinn«, schmeichelte Rani. »Ihr könnt von den Toren aus auf mich aufpassen – Ihr könnt die Hälfte des Weges zur Kathedrale einsehen, ohne einen Schritt zu tun.«
»Nun…« Der Mann hatte bereits beschlossen nachzugeben.
»Ich werde zurück sein, bevor sie auch nur merken, dass ich fort war.«
»Dann beeilt Euch, kleine Pilgerin.« Der Mann brummte, während er den schweren Eisenriegel am Tor zurückzog. »Ich werde auf Euch aufpassen, während Ihr diese Straße hinabgeht, und ich werde auch auf dem Rückweg nach Euch Ausschau halten.«
Rani lächelte dankbar und trat zum Tor. Gerade als sie auf die Straßen der Stadt entkommen wollte, hallte eine Stimme über den Hof. »Schließt das Tor! Schließt das Tor!« Das Metall fiel klirrend wieder in die Halterung, bevor Rani erkannte, dass Prinz Halaravilli der Sprecher war. Er hastete in die Schatten beim Wachhaus. »Wohin gehst du in der Nacht? Zu welchen Göttern betest du um das Recht? Um das Recht, in der Nacht, was ist recht?«
Rani erschreckte Hals Gegenwart, seine im Singsang geäußerten Beschuldigungen, und sie brachte stotternd eine Erklärung hervor. »Ihr wisst, dass ich die Erste Pilgerin bin, Euer Hoheit. Ihr wisst, dass ich in der Kathedrale beten muss.«
»Beten in der Nacht, beten, was ist recht. Es liegt Gefahr in der Nacht, Pilgerin, Gefahr in den Straßen der Stadt.«
Rani schüttelte den Kopf und war wütend, weil sie so kurz vor dem Entkommen ertappt worden war. »Ich bin die Erste Pilgerin, Euer Hoheit. Niemand wird mir etwas antun, während ich zu Ehren der Tausend Götter handele.«
Hals aufgebrachter Blick zuckte in die Nacht. »Überall ist Gefahr, Erste Pilgerin. Gefahr in der Nacht, Gefahr am Tage. Gefahr in den Straßen, Gefahr in unseren Räumen.«
»Der Wächter wird vom Tor aus auf mich aufpassen.« Rani deutete auf den beunruhigten Torwächter, der eindeutig hoffte, dass der Prinz an seiner Entscheidung nichts auszusetzen hätte.
»Es ist Gefahr unter den Soldaten. Gefahr unter den Prinzen. Gefahr unter den Händlern. Gefahr unter den Priestern.« Rani versuchte, die verbitterten Drohungen mit einem
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