Die Gilden von Morenia 02 - Die Gesellenjahre der Glasmalerin
Spielzeug fort, Junge! Ich zerbreche diesen Bogen über meinem Knie und werfe ihn ins Gebüsch, auch wenn er von deinem kostbaren Davin gemacht wurde!«
Crestman zuckte die Achseln, als kümmerte es ihn nicht, aber er verließ die abgerissene Gruppe Jungen. Er wahrte seine Würde, indem er sich Zeit ließ.
Als sie jedoch außer Hörweite waren, warf er einen raschen Blick über die Schulter und versicherte sich, dass seine Kameraden nicht hinsahen. Dann zischte er: »Das könnt Ihr nicht tun! Ihr könnt mich nicht vor meinen Leuten herumkommandieren!«
»Erzähl mir nicht, was ich tun kann und was nicht, Junge. Du hast mir die Treue geschworen, erinnere dich! Du hast die Worte nur allzu leicht geäußert, als du glaubtest, dein Leben stünde auf dem Spiel.«
»Still!«, zischte Crestman mit einem weiteren Blick über die Schulter. »Hier beim Kleinen Heer lagern auch vierzig Soldaten. Wenn auch nur einer von ihnen herausfindet, dass ich desertiert bin – glaubt Ihr, sie ließen uns dann noch Zeit genug, unsere Lügen zu erklären?«
»Wenn du dich deiner Schwüre erinnerst, besteht keine Gefahr, dass sie es herausfinden.«
»Keine Gefahr, bis sie Euch zetern hören. Es ist schon schlimm genug, dass ich wieder bei ihnen gefangen bin. Ihr braucht mich nicht auch noch zu quälen.« Crestman murrte weiterhin, wandte seine Aufmerksamkeit aber den Ochsen zu und löste ihre Geschirre.
Shea ignorierte die Klagen des Jungen. Ihr Pom hatte sich immerhin auch häufig beklagt, bevor er sich an eine Aufgabe machte.
Natürlich sprach Crestman nach einem nur sehr kurzen, mürrischen Schweigen erneut mit ihr. »Also, Shea, was glaubt Ihr, welche Vorräte wir hier haben?«
»So wie es aussieht, Mehl und Salz. Vielleicht etwas Schweineschmalz. Etwas Wein, der für die Jungen mit Wasser versetzt wird. Salzfleisch. Vielleicht einige frühe Äpfel.«
»Es wurde auch langsam Zeit.«
»Ich dachte, dass ihr Jungen gerne von eurer Hände Arbeit lebt. Ich dachte, das Kleine Heer äße gerne, was es töten kann.«
»Vielleicht gilt das für das Kleine Heer, aber ich weiß es besser. Ich werde aus der Speisekammer des Königs essen und die Ehre genießen.« Shea stimmte in das grimmige Lachen des Jungen mit ein. Auch sie war hungrig gewesen. Auch sie wusste das Nahrungswunder zu schätzen, das essbereit, gesalzen und geräuchert eintraf.
Wenn ihre Waisen nur an der Freigebigkeit teilhaben könnten… Wenn sich Tain und Hartley nur an der Fülle in diesen Fässern erfreuen könnten.
Tain… Das Sonnenmädchen würde jetzt gerade die Waisen versammeln und sie ihre täglichen Gebete zu den Tausend Göttern sprechen lassen. Shea hoffte, dass sie ein wenig Nahrung für den Winter einlagern konnten.
Sie atmete tief aus, ihr Atem war in der kühlen Abendluft sichtbar. Sie fragte sich, wie sie es immer tat, wenn sie an ihre Kinder dachte, ob sie die richtige Entscheidung getroffen hatte. Sie gestand sich ein, dass sie Crestman gerettet hatte, weil er sie an Pom erinnerte. Oh, sie könnte Geschichten erfinden, dass sie ihre Waisen vor der Schande bewahrt hätte, ein Kind zu töten, vor der Reue, die sie empfunden hätten, wenn sie als Erwachsene das Entsetzliche ihrer Tat erkannt hätten. Aber Shea wusste tief im Herzen, dass sie nicht um der Kinder willen gehandelt hatte. Sie hatte für sich selbst gehandelt. Sie hatte für Pom gehandelt.
Noch während Shea sich die Wahrheit eingestand, dachte sie an Serena, das kleine Schwanenmädchen, das sie in ihrem kleinen Haus zurückgelassen hatte. Das Kind war so blass, so schmächtig gewesen… Inzwischen mochte sie einem Husten oder einem Fieber erlegen sein. Sie mochte nur noch ein Schatten sein.
Shea starrte in die Dämmerung und konnte Serenas Geist vor sich sehen. Das Kind stand neben dem letzten Wagen, hielt sich mit zitterndem Arm an der hölzernen Seitenwand fest. Sie war ganz in Weiß gekleidet, als wäre es Tain gelungen, ein Leichenhemd für sie zu finden. Serena schaute auf, als sie merkte, dass Shea sie beobachtete, schaute mit einem Ausdruck des Entsetzens auf dem Gesicht auf.
»Serena«, hauchte Shea und stürzte vorwärts. Noch während sie sich bewegte, fiel das Schwanenmädchen auf die Knie, und ihr Totenhemd bauschte sich um sie wie das feinste Leinen. Shea schrie auf und rannte zu ihr. »Serena, verzeih mir!«, schluchzte sie. »Verzeih mir, Kind! Ich hätte dich niemals verlassen dürfen! Möge Nome meiner Seele gnädig sein!«
»Bitte! Helft mir!«
Shea erkannte ihren
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