Die Gilden von Morenia 03 - Die Wanderjahre der Glasmalerin
wie Ihr wisst, verkaufte Euer Vorgänger in Amanthia Tausende von Kindern nach Übersee, verschacherte ihre Körper, um sein Verlangen nach Macht zu nähren. Mit der Annahme der Krone Amanthias nahmt Ihr auch die Verantwortung für das Landesvolk an, einschließlich jener Kinder, einschließlich des Kleinen Heers.«
Nun verstand Hal Puladarati. Er erkannte, wo diese Diskussion hinführen würde. Er vollführte eine Geste, um den Adligen zu unterbrechen. »Genug, Mylord. Ich habe gesagt, dass ich das Kleine Heer aufspüren werde, aber ich kann das kaum jetzt tun. Moren braucht mich.«
»Euer Volk braucht Euch, Herr! Euer gesamtes Volk!« Der Ruf erklang hinter Puladarati, laut und herausfordernd, im Ratsraum sehr zornig klingend.
Hal lehnte sich jäh auf seinem Stuhl zurück, wobei eine Hand reflexartig zu dem Dolch an seiner Taille zuckte. Die übrigen Ratsherren reagierten ebenfalls – Edpulaminbi, der Puladarati am nächsten saß, erhob sich, zog mit einer fließenden Bewegung sein Schwert und stieß dabei seinen Stuhl um. Die scharfe Klinge kam an der gewandeten Brust von Puladaratis Sekretär zur Ruhe, die Spitze verfing sich in der schweren Wolle.
Farso hatte schon beim ersten Wort des Mannes sein Schwert gezogen, trat jetzt Edpulaminbis Stuhl beiseite und legte seine Klinge an die Kehle des gewandeten Eindringlings. Hal konnte, selbst von der anderen Seite des Raumes aus und obwohl das Adrenalin in seinen Adern pulsierte, die angespannte Wut in Farsos Arm erkennen, den bebenden Zorn darüber, dass jemand es wagen würde, in den Ratsraum von Morenias König einzudringen, es wagen würde, seine Stimme in aufrührerischem Zorn zu erheben.
»Halt!«, rief Puladarati über den Aufruhr hinweg. »Halt, Graf Edpulaminbi, Lord Farsobalinti!« Der frühere Prinzregent wirbelte wieder zu Hal herum. »Euer Majestät, vergebt mir! Ich sagte meinem Gefährten, dass er mich hierher begleiten könne, wies ihn aber an, still zu bleiben, solange Euer Rat tagt. Ich dachte, die Disziplin des Heers des Nordens würde ihn sein Wort halten lassen.«
»Euer Gefährte«, wiederholte Hal. Er vermutete nun, denjenigen zu kennen, der unter der Robe des »Sekretärs« steckte. »Lasst ihn vortreten.«
Edpulaminbi zog sein Schwert zurück und verlagerte den Griff um die Waffe, damit er den Eindringling, wenn nötig, töten könnte. Farso wich ebenfalls zurück, aber auch er hielt sein Schwert deutlich sichtbar in Bereitschaft. Puladarati vollführte mit seiner dreifingrigen Hand eine kurze Geste und verlieh dem Befehl mit einem finsteren Blick Nachdruck. Der gewandte Sekretär zögerte nur einen Moment, trat dann zum Tisch, schob seine Kapuze zurück und sah die versammelten Adligen herausfordernd an. Eine helle Narbe schimmerte hoch oben auf seinem dunklen Wangenknochen.
»Crestman«, sagte Hal.
»Euer Majestät.« Hal dachte einen Moment, der Nordländer beabsichtige, ihn gleich hier im Ratsraum zu konfrontieren, beabsichtige, ihn dazu aufzufordern, seine Ehre und seine Handlungen im Namen ganz Morenias zu verteidigen. Stattdessen neigte der frühere Leutnant des Kleinen Heers den Kopf und trat gerade weit genug vom Ratstisch zurück, um auf ein Knie zu sinken. Er verschränkte in starrem, militärischem Gehorsam die Arme über der Brust.
»Erhebt Euch, Mylord«, sagte Hal mit gemessenen Worten. Der Anblick des Mannes brachte eine Flut von Erinnerungen zurück – Visionen der nördlichen Stadt Amanthia, der mitleiderregenden Menge der Soldaten des Kleinen Heers, die Hal hatte retten können. Außerdem erinnerte er ihn an Rani, wie sie zwischen ihrer Verpflichtung ihrem Heimatland und dem fremden Amanthia gegenüber, ihrer Verpflichtung Hal und ihrer Schuld Crestman gegenüber hin und her gerissen war. Er hatte sie nicht gebeten, ihm zu erklären, was mit dem Leutnant des Nordens geschehen war, welche Worte – oder mehr – zwischen ihnen gewechselt worden waren. Aber er hatte einen Verdacht, durch Briefe genährt, die Rani regelmäßig nach Amanthia sandte, lange Sendschreiben, mit dem Wachssymbol der noch immer toten Glasmalergilde versiegelt.
Hal zwang seine Stimme zur Ruhe und bedeutete Farso, Edpulaminbis Stuhl wieder aufzurichten. Der frühere Knappe kam der Aufforderung nach, stellte sich aber neben seinen Ratsbruder, wobei beide Männer die Waffen bereithielten. Hal sagte zu Crestman: »Ihr dürft: Eure Meinung frei äußern, Mylord.«
Crestman sah ihn finster an, während die starken Empfindungen sein
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