Die Gilden von Morenia 04 - Die Prüfung der Glasmalerin
Sie erlangte ein brauchbares Stück für das tiefe Karmesinrot seines Gewandes. Sie nahm das Braun für seinen Haarkranz.
Aber das weiße Glas, auf das sie gehofft hatte, war fort. Die Ballen Seide waren für ihr Muster wesentlich. Sie hatte das samtene, zarithianische Weiß benutzen wollen, um das Karmesinrot perfekt abzusetzen. Nun würde sie mit einer dunkleren Schattierung zurechtkommen müssen, mit einer Glastafel, die unreine Spuren Gelb aufwies.
Erst als sie an Larindas Tisch vorüberging, erkannte sie, wer das samtene Weiß genommen hatte. Die andere Gesellin legte die Tafel gerade auf ihre eigene Kohlezeichnung. Rani konnte die Form der starken Linien darunter nicht ausmachen.
Das war ebenso gut. Kein Grund zu vergleichen, wie ein jeder die begehrte Tafel benutzt hätte. Rani würde ohne sie arbeiten. Das war richtig. Das war fair. Sie bemühte sich, nicht zusammenzuzucken, als Larinda ihre Hand beugte und ein schweres Schneideeisen aufnahm.
Rani trat zu ihrem Tisch und sprach in Gedanken erneut das Gebet der Gildeleute. Die Worte waren kaum nötig, aber sie halfen ihr, sich zu konzentrieren, sich zu zentrieren. Dann, als sie wohl nicht mehr das Objekt aller Augen im Raum zu sein glaubte, griff sie unter ihren Tisch und nahm ihre Werkzeugrolle hervor.
Das Leder fühlte sich unter ihren Fingerspitzen weich an, vom jahrelangen Gebrauch stark abgenutzt. Normalerweise hätte ihre Familie ihre Glasmalerwerkzeuge für sie gekauft, als sie in den Rang der Gesellin aufstieg. Aber als Rani diesen Rang erreichte, war ihre Familie schon lange tot, in Morens Schutt gestorben.
Tovin hatte ihr ihr Werkzeug geschenkt. Er hatte sich bemüht, es beiläufig zu tun, als er es ihr gab, als würde er ihr Leben nicht verändern. Er hatte ihren überschwänglichen Dank achselzuckend abgetan und darauf hingewiesen, dass er nicht einmal eine neue Lederrolle für sie hatte anfertigen lassen. Er hatte ihr nur das geschenkt, was er übrig hatte.
Aber sie wusste, dass er ihr einige seiner eigenen Werkzeuge überlassen hatte. Sie besaß sein gutes Diamantmesser, die Klinge, die sie als Erstes benutzt hatte, als sie die Macht eines solchen Werkzeugs erkannte. Sie ließ ihre Finger über das Leder gleiten, als streichele sie Tovins Haut. Bald, sagte sie sich. In dieser Nacht. Nachdem sie ihre Prüfung abgeschlossen hätte. Nachdem sie die vorliegende Angelegenheit bewältigt hätte. Dann würde sie ihren Frieden schließen. Dann wäre alles gut.
Rani stählte sich, wohl wissend, dass ihr Diamantmesser viel Aufmerksamkeit der übrigen Gildeleute bewirken würde. Als sie das Werkzeug aufnahm, erwartete sie halbwegs, dass Parion ihr verbieten würde, es zu benutzen. Als der Meister jedoch schwieg, hob Rani den Blick und suchte gezielt seine Zustimmung.
Parion wartete auf ihre Frage. Sein Blick verschränkte sich mit ihrem. Rani war über die Anspannung seines Kiefers bestürzt, über den harten Glanz seiner Augen. Sie hatte diese stählerne Haltung schon früher kennengelernt. Sie hatte für eine Ausbilderin gearbeitet, die ebenso starr, ebenso unnachgiebig, ebenso streng war.
Ausbilderin Morada. Ranis Gedanken schweiften zu dem Zeitpunkt zurück, als sie zum letzten Mal mit der Frau gesprochen hatte, auf einem unseligen Gerüst außen an Morens Haus der Tausend Götter. Rani war Morada auf dem Marktplatz gefolgt, hatte der Frau zu einem verlassenen Viertel der Stadt nachgespürt. Morada hatte sich mit ihrem eigenen Geheimbund getroffen, und dann hatte die Ausbilderin für ihr abgekartetes Spiel bezahlt, mit dem Leben bezahlt. War das der Preis, der auch von Rani gefordert würde? War das der Preis dafür, sich mit den schattenhaften anderen zu verbünden?
Rani erschauderte und bewegte ihre Hand von dem in ihrer Tasche verborgenen Fläschchen fort. Es war keine Zeit, die Gefolgschaft in Frage zu stellen, ihre Forderungen zu ergründen, ihre Ziele. Sie musste ihre Prüfung zu Ende bringen.
Sie hob langsam das Diamantmesser an und drehte es in der Hand, so dass es das Schimmern der Fackeln an der Wand einfing. Sie stellte sicher, dass Parion es von den traditionellen Schneideeisen der Gilde unterscheiden konnte. Sie wollte ihn genau wissen lassen, was sie vorhatte.
Der Blick des Gildemeisters wurde wie verzaubert auf das dunkle Metall gezogen. Sie sah ihn die schmale Klinge genau betrachten, das Werkzeug studieren, bis Rani dachte, er würde niemals wieder atmen. Dann hob er den Blick, hielt den ihren fest und nickte ein Mal.
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