Die Gilden von Morenia 04 - Die Prüfung der Glasmalerin
die Glasmalergilde zerstört wurde!«
Parion beugte den Kopf und murmelte einige formelle Gebete an Clain. Es war gut, dass er die Worte als junger Lehrling auswendig gelernt hatte, denn er hätte sie niemals auf andere Art wiederholen können, während sein Geist von Thema zu Thema, von Plan zu Plan flog.
»Im Namen Clains, Amen«, schloss er und legte Moradas Vermächtnis auf den Tisch.
Rasch hatte er eine Flasche Tinte gefunden. Er prüfte seinen Glasfederhalter an einer Fingerspitze und hielt ihn dann ins goldene Sonnenlicht, das durch das Fenster strömte. Er würde genügen. Er beobachtete, wie die Tinte von dessen glattem Rand tropfte und einen perfekten Film hinterließ. Seine Hand war ruhig, als er an die Verräterin zu schreiben begann: Von Parion, Meister der Glasmalergilde, an Ranita, die sich einst als eine von uns betrachtete…
3
Berylina Donnerspeer fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, wohl wissend, dass die Bewegung ihr vorstehendes Kinn noch betonte und Aufmerksamkeit auf die Hasenzähne zog, die sie schon ihr ganzes Leben lang quälten. Sie konnte nicht anders. Sie leckte sich die Lippen, wenn sie nervös war, wenn sie um den Mut rang, ein Argument anzubringen. Und das gegenwärtige Argument war es wert, darum zu ringen.
Sie hob das Kinn an und sagte: »Pater, wir haben dies schon häufig diskutiert. Ihr habt zuvor zugestimmt. Was hat Euch dazu gebracht, Eure Meinung zu ändern?«
Siritalanu seufzte, schüttelte den Kopf und runzelte die Stirn, was das runde Gesicht des Priesters unerwartet älter wirken ließ. Die vertrauten Linien um seinen Mund waren auf uncharakteristisch skeptische Art abwärtsgewölbt, und Schweißperlen benetzten seine Haut. Er mied ihren Blick, schaute auf seine Hände, die er auf dem Schoß ballte und wieder öffnete.
Berylina stritt nur selten mit ihrem Mentor. Im Allgemeinen begriffen sie beide die Bedeutung der Anbetung der Tausend Götter. Sie kannten beide die Handlungen, die sie ausführen mussten, um ihre Frömmigkeit zu bewahren, um die Götter zu ehren. Umso mehr Grund für sie, ihn dieses Mal zu drängen – sie war sich sicher, dass sie Recht hatte, selbst wenn Siritalanu noch anderer Meinung war.
»Euer Hoheit«, begann er, aber sie unterbrach ihn, bevor er sein Argument vorantreiben konnte.
»Ich spreche nicht als Prinzessin zu Euch. Ihr dürft mich nicht so abtun.« Die Festigkeit in ihrer Stimme erstaunte sie selbst. Dennoch, wenn sie zuließe, dass Siritalanu sie als Mitglied des Königshauses ansprach, dann könnte er moralische Überlegenheit beanspruchen. Er könnte mehr über die Götter, über ihre Erwartungen zu wissen behaupten. Wenn der Priester sie jedoch als Büßerin betrachtete, als treue Caloya… Sie musste schwer schlucken, bevor sie sagen konnte: »Pater, ich spreche zu Euch als eine der Gläubigen.«
»Aber keine gläubige Frau würde jemals Eure Forderung stellen!«
Berylina schüttelte den Kopf. »Wollt Ihr damit sagen, dass keiner der Gaukler glaubt, Pater? Das habt Ihr mich in der Vergangenheit nicht gelehrt. Die Kirche sagt, dass alle Männer und Frauen glauben, wenn sie mit offenen Herzen und aufrechten Seelen zu den Tausend Göttern kommen.«
»Ihr verdreht meine Worte, Mylady.«
»Vielleicht sind Eure Gedanken verdreht!«, erwiderte Berylina verbittert, bevor sie es unterdrücken konnte. Was tat sie? Sie musste ihre Zunge hüten! Sie sprach immerhin zu einem Priester, auch wenn es Siritalanu war, der eine Mensch, dem sie auf der ganzen Welt am meisten vertraute. Was sagte sie? »Es tut mir leid, Pater«, flüsterte sie. »Ich habe es nicht so gemeint.«
Scham überschwemmte sie, färbte ihre Wangen mit der nur allzu bekannten Hitze. Warum konnte sie nicht angemessen mit den Menschen sprechen? Sie entstammte immerhin dem Hause Donnerspeer. Jede andere Prinzessin würde nicht zögern, einem gewöhnlichen Priester zu befehlen, ihrem Willen zu gehorchen! Jede andere Prinzessin würde im Befehlston sprechen, mit Autorität. Sie würde hoch aufgerichtet stehen und kalt dreinblicken. Sie würde mit fester Stimme sprechen.
Aber Berylina war nie wie jede andere Prinzessin gewesen.
Wann immer sie sprach, stieß ihre Stimme gegen ihre Hasenzähne. Fremde wandten den Blick von ihren schielenden Augen ab, unfähig, ihren gespaltenen Blick hinzunehmen. Ihr sprödes Haar stand von ihrer Kopfhaut ab, als wäre es in einen Sturmwind geraten. Jeder, der sie ansah, erkannte, dass sie makelbehaftet war, dass sie
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