Die Gilden von Morenia 04 - Die Prüfung der Glasmalerin
versucht, ihren entstellten Körper zu verstecken.
Nun empfand Berylina jedoch keinerlei Verpflichtung dieser Art mehr. Sie wusste, dass es einen Grund hatte, warum die Tausend Götter sie so erschaffen hatten, wie sie war. Sie war sich noch nicht sicher, ob sie eine Warnung für die Gesunden und Kräftigen sein oder ob sie als Erinnerung dienen sollte, um all die Gläubigen zu Mitgefühl und Engagiertheit aufzurufen. Sie erkannte jedoch, dass sie den Tausend niemals dienen könnte, wenn sie ihre wahre Gestalt verbarg.
Sie sah Ranita Glasmalerin an, ihr schielender Blick stetig.
Wie um ihre Entstelltheiten zu betonen, fuhr sie sich mit der Zunge über die Lippen, über ihre Hasenzähne.
Man musste Ranita zugutehalten, dass sie nicht reagierte. Stattdessen schluckte sie schwer und sagte: »Es tut mir leid, Euer Hoheit. Lady Mair und ich sprachen über für unseren König wichtige Angelegenheiten. Ich fürchte, wir ließen uns von der Kraft unserer Argumente davontragen.«
»Die Götter lassen sich von unseren kümmerlichen, menschlichen Streitereien nicht stören.« Berylina spürte die Worte in sich aufsteigen, stetig, sicher. Sie wünschte, sie könnte diese ruhige Zuversicht immer empfinden, immer wissen, wann die Götter durch sie die Wahrheit sprachen. »Die Tausend kümmert Euer Streit nicht.«
Aber Berylina kümmerte er natürlich. Berylina kümmerte er genug, dass sie König Halaravilli schreiben würde. Heute Abend, bevor sie zu Bett ging. Sie würde die Worte weitergeben, die Ranita und Mair gesagt hatten, ihn von der Gefahr wissen lassen, die sie von dem Soldaten Crestman spürten. Die Tausend Götter hatten es immerhin für angemessen erachtet, König Halaravilli auf den Thron Morenias zu bringen. Berylina musste eines ihrer Werkzeuge sein, ihn dort zu halten.
Sie hätte später viel Zeit zu schreiben. Im Moment hatte Mip lange genug gewartet.
Berylina schlang ihre Caloyagewänder bequemer um ihre Gestalt und streckte ihre Beine unter den langen Röcken. Ja. Ihre Knie waren jetzt fester. Sie würden sie durch die Straßen tragen. Sie würde sich nicht in Verlegenheit bringen, oder Pater Siritalanu, oder irgendeinen der Tausend Götter.
Sie lächelte Ranita und Mair zu. »Dann werde ich Euch Eurer Debatte überlassen.«
»Aber wir kommen mit Euch, Mylady!«, protestierte Rani. »Wir sind hier, um in Brianta für Eure Sicherheit zu sorgen.«
»Ich werde ausreichend sicher sein. Pater Siritalanu wird mich begleiten, und mein Tausendspitziger Stern wird mich beschützen. Ich gehe nur zu Mips Tempel.«
Berylina beobachtete, wie sich ein Konflikt auf dem Gesicht der Glasmalerin abzeichnete. Ranita fühlte sich eindeutig verpflichtet, sie zu begleiten. Ebenso eindeutig hatte die Glasmalerin jedoch ihre eigenen Wünsche, ihre eigenen Ziele. Etwas, was mit ihrer vernichteten Gilde zu tun hatte, vermutete Berylina. Oder mit dem Geheimnis, das sie mit Mair teilte, das Geheimnis, das mit dem Soldaten Crestman zu tun hatte. Die privaten Verpflichtungen überwogen natürlich – Berylina war bei Pater Siritalanu sicher.
Die Prinzessin hob eine Hand über die Gebetsglocke an der Tür, bevor sie zu den beiden Frauen sagte: »Mögen all die Tausend Götter über Euch wachen. Im Namen Hins hoffe ich, dass Ihr Euren Streit beilegt.« Sie ging, bevor der Ausdruck des Protests von Ranitas Gesicht wich. Der Gott der Rhetorik erfüllte Berylinas Nase mit der Essenz von blauem Flieder.
Pater Siritalanu wartete draußen auf sie. Er blickte die Straße hinab, als sie die Stufen herabkam. Sein Gesicht war von feinen Linien zerfurcht, und seine Lippen waren nachdenklich verzogen. Er schien hier in Brianta stets um ihre Sicherheit, um ihr Wohlergehen zu fürchten. Sobald Berylina aus der Herberge trat, eilte er auf sie zu. »Ihr solltet nach Jins Geläut hier sein.«
»Ich musste meine Gebete beenden, Pater. Es tut mir leid, dass ich Euch Sorgen gemacht habe.«
»Ihr habt mir keine Sorgen gemacht, Euer Hoheit.« Sein Protest erfolgte automatisch, und seine Finger bewegten sich in der seltsamen briantanischen Geste, die Streit beilegte. Sie wollte ihm sagen, dass niemand lügen sollte – nicht einmal Priester. »Ich fürchtete nur, dass wir zu spät an Mips Tempel einträfen.«
Sie neigte den Kopf, als akzeptiere sie seine Schelte, und wob mit den Fingern zusätzlich eine briantanische Geste der Ergebenheit. Siritalanu wollte ihr immerhin nur dienen und ihre Huldigung anleiten. Armer Mann.
Die briantanischen Straßen
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