Die Gilden von Morenia 04 - Die Prüfung der Glasmalerin
ein Schneideeisen schärfen.
Immerhin brauchte sie Tovin nicht, um die Dinge geradezurücken. Er brauchte sich nicht um Berylina zu kümmern, brauchte nicht Ranis Versprechen Hal gegenüber zu erfüllen. Sie presste die Lippen zusammen und sagte zu Pater Siritalanu: »Also gut. Sprechen wir mit den Wächtern. Erklären wir ihren Irrtum.«
Rani wusste, dass sie nicht wirklich in Gefahr war, während sie sich den Mauern des Gefängnisses näherte. Sie war nicht die Gefangene. Sie war nicht die Angeklagte, nicht diejenige, die hinter nasskaltem Stein gefangen war. Und doch schlug ihr Herz schneller, und ihr Atem wurde rauer. Pochende Kopfschmerzen nahmen den Raum hinter ihren Augen wieder ein.
Sie wischte sich plötzlich feuchte Handflächen an ihren Röcken ab, wünschte erneut, sie könnte sich in den heißen Sommerstraßen wärmen.
»Mylady«, sagte Pater Siritalanu, aber Rani schüttelte nur den Kopf. Sie konnte die verzweifelte Sorge in seiner Stimme hören, und die Empfindung ärgerte sie. Es ging ihr gut. Sie konnte sich irgendwelchen emporgekommenen Wächtern in einem Stadtgefängnis, wo die Menschen nicht einmal ihrem König wahren Respekt zollten, ohne weiteres gegenübertreten.
»Halt!«
Ranis Herz krampfte sich so stark zusammen, dass sie dachte, sie müsste aufschreien. Stattdessen schluckte sie schwer und befahl sich, sich der Lektionen zu erinnern, die sie bei Tovin gelernt hatte, der Gauklertricks zum Ausüben von Macht. Sie richtete sich auf, schluckte erneut und erinnerte sich, ihre Stimme zu senken. »Ich bin hier, um Berylina, Prinzessin von Liantine und Schützling Halaravilli ben-Jairs von Morenia zu besuchen.«
Rani konnte aus den Augenwinkeln Pater Siritalanus nervösen, überraschten Blick sehen, und er trat einen Schritt zurück, wollte sich eindeutig von ihrem scharfen Tonfall distanzieren. Der Wächter blickte weiterhin strikt geradeaus, als hätte sie nichts gesagt. »Kein Gefangener darf nach der Stunde des Charn Besuch erhalten.«
Charn. Rani sagte im Geiste rasch die Götter auf. Der Gott der Messer. Wann hatten seine Glocken in der Stadt geläutet? Höchstwahrscheinlich irgendwann heute Morgen. Zumindest vermittelte das die Haltung des Wächters.
»Die Prinzessin wurde gerade erst hier zum Mist…« Rani unterbrach sich rechtzeitig. Kein Grund, den Wächter zu beleidigen. Kein Grund anzudeuten, dass er nur eine summende Fliege über einem Dunghaufen war. »Bei der Halle der Gerechtigkeit der Tausend Götter. Ich konnte sie nicht vor Charns Läuten besuchen, weil sie zu dem Zeitpunkt noch nicht hier war.«
»Dann werdet Ihr sie morgen vor Charn sehen.«
»Sie ist eine Prinzessin, Mann!« Ranis Stimme klang plötzlich schrill, und sie schluckte erneut und zwang ihre Stimme, sich wieder des reichen Registers des Gauklers zu bedienen.
Sie hätte ebenso gut ein Kindermärchen erzählen können, bei der Wirkung, die ihre Worte auf den Wächter hatten. »Prinzessin oder Bettler, wir machen hier keinen Unterschied. Alle Männer und Frauen sind vor den Augen der Tausend Götter gleich.«
Der nüchterne Tonfall schürte Ranis Zorn, auch wenn sie sich fragte, was es für Berylina praktisch bedeutete. Wenn alle Gefangenen gleich waren, dann würde die Prinzessin auf Stroh schlafen. Sie würde ihren Bauch mit schmierigem Wasser und kaltem Haferschleim füllen, wenn sie das überhaupt bekam.
Hal würde wütend auf Rani sein. Er würde sie mit vernichtendem Blick ansehen, und dann würde er diesen Seufzer ausstoßen, der ihn klingen ließ, als wäre er hundert Jahre alt… Ein karmesinroter Vorhang senkte sich vor Ranis Augen, und sie trat mit einer neuen Entschlossenheit auf den Wächter zu. »Ihr versteht nicht, Ihr elender, staubschluckender Hund. Ihr haltet eine Frau fälschlicherweise dort drinnen fest. Sie gehört nicht in Euren stinkenden Misthaufen, und wenn sie freigelassen wird, wird man Euch persönlich dafür verantwortlich machen. König Halaravilli wird dafür sorgen, dass Ihr den Rest Eures Lebens damit verbringt, in seinen Palastmauern Kleiderschränke auszumisten! Er wird dafür sorgen…«
Pater Siritalanu schloss seine Finger um Ranis Arm, und sein Griff zeugte von mehr Kraft, als Rani dem Mann jemals zugetraut hätte. Er räusperte sich und sagte: »Ich bin der spirituelle Führer der Prinzessin, guter Soldat. Ich würde gerne mit ihr beten, um ihr zu helfen, durch alles hindurch, wessen sie beschuldigt wird, den Weg zwischen Recht und Unrecht zu finden.«
Der
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