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Die Gilden von Morenia 04 - Die Prüfung der Glasmalerin

Die Gilden von Morenia 04 - Die Prüfung der Glasmalerin

Titel: Die Gilden von Morenia 04 - Die Prüfung der Glasmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mindy L. Klasky
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Rosenfarbe unter dem Alabaster. »Wenn Ihr bereit seid, Berylina, möchte ich, dass Ihr mir erzählt, wo Ihr seid. Sagt mir, was Ihr seht.«
    Die Prinzessin schwieg eine lange Minute, als sei das Heraufbeschwören von Worten eine nur einem Krieger würdige Aufgabe. »Liantine«, flüsterte sie schließlich.
    »Ihr seid in Liantine?« Rani war nicht überrascht. Die Prinzessin hatte dreizehn ihrer sechzehn Lebensjahre in Liantine verbracht. »Sagt mir, wo, Berylina. Sagt mir, was Ihr seht.«
    »Ich bin in meinem Kinderzimmer. Das alte Kinderzimmer. Bevor sie die Spinnenseidevorhänge abnahmen. Bevor sie die Gehörnte Hirschkuh hereinbrachten.« Rani hörte die Verwunderung in der Stimme der Prinzessin, das sanftere Formulieren des Kindes.
    »Wie alt seid Ihr, Berylina?«
    »Neun. Heute ist mein Geburtstag. Wir hatten Mandelkuchen, und mein Vater hat mir ein Kätzchen geschenkt.« Ein Hauch von einem Lächeln schlich sich auf die Lippen der Prinzessin. »Ich bekam auch andere Geschenke. Einen vergoldeten Spiegel und ein Kleid von der Farbe des Himmels. Und niemand lachte heute über mich. Gar niemand.«
    Die Lippen der Prinzessin zitterten, und sie furchte die Stirn. »Niemand wird jetzt über Euch lachen«, versicherte Rani ihr.
    »Aber meine Augen sind nicht richtig. Und meine Zähne stehen hervor.«
    »Niemand wird über Euch lachen«, wiederholte Rani. »Nicht jetzt. Erinnert Ihr Euch an Eure Hypnose? Ihr habt Macht darüber. Ihr könnt es beenden, wann immer Ihr wollt.« Die Worte trösteten die Frau, das Kind, und Rani wartete darauf, dass sie einige weitere tiefe Atemzüge täte. »Erzählt mir mehr von dem Tag, Mylady. Warum habt Ihr diese Geschichte für die Hypnose erwählt?«
    »Ich komme aus dem Speisesaal. Ich habe noch Krümel an den Händen.« Berylinas Hände waren geballt, ähnelten den rundlichen Fäusten, die sie in ihrer Kindheit gekannt haben musste. »Mein Kindermädchen begrüßt mich, und sie nimmt das Kätzchen. Sie sagt, das Kätzchen müsse schlafen gehen, und ich ebenso.«
    Berylina hob die Hände, als böte sie einen kleinen, pelzigen Trost dar. Rani befürchtete, dass dem Tier ein entsetzliches Schicksal bevorstünde, dass irgendein Unglück diesem Tag in Berylinas Erinnerung Wichtigkeit verlieh. Aber nein, das Kätzchen wurde anscheinend ohne seelische Erschütterung fortgebracht.
    »Das Kindermädchen sagt, ich soll mit ihr beten, bevor ich schlafen gehe. Sie ist neu, dieses Kindermädchen, für mich neu, weil meine Brüder alle anderen Kindermädchen vergrault haben. Sie ist jung. Sie kommt aus Amanthia, von weit her.«
    Amanthia. Ranis Gedanken zuckten zu ihren eigenen Erinnerungen an dieses Land, an seine wild wachsenden Wälder und die zerklüftete Küstenlinie. An das Kleine Heer. An Crestman. Aber Berylina war nie nach Amanthia gereist. Sie hatte diese Visionen nicht.
    »Das Kindermädchen lässt mich neben sich auf dem Betpult knien. Die Bank ist noch zu hoch für mich. Ich kann meinen Kopf nicht auf den Querbalken legen. Ich senke den Kopf jedoch und versuche, wie das Kindermädchen zu sein.« Berylina ließ den Worten die Handlung folgen. In dem trüben Licht der Zelle wirkte sie wie ein Kind, als ob ihr gebeugter Nacken ein bescheidenes, verletzliches Opfer sei.
    »Das Kindermädchen betet zu ihren Göttern, zu den Tausend, die in Amanthia ihre Heimat eingerichtet haben. Sie betet im Namen Pits und Dols und Roats. Sie bittet Nome, über mich zu wachen.«
    Berylina beugte den Kopf noch weiter, und ihre Lippen begannen sich in schweigender Beschwörung zu bewegen. Rani wartete einen Moment, erwartete, dass die Geschichte weiterginge. Als die Prinzessin weiterhin schwieg, drängte Rani: »Wie lauten die Worte ihres Gebets, Berylina?«
    »Heil Nome, Gott der Kinder, Führer Jairs, des Pilgers. Betrachte diese Pilgerin mit Gnade in deinem Herzen und Gerechtigkeit in deiner Seele. Führe die Füße dieser Pilgerin auf den rechten Weg der Verehrung, auf dass alles geschehe, damit du und deinesgleichen unter den Tausend Göttern geehrt werden. Diese Pilgerin bittet um die Gnade deines Segens, Nome, Gott der Kinder.«
    Die Worte schnitten durch Rani hindurch, vereisten ihr Herz. Das waren die Worte, die ihre Mutter jeden Morgen und jeden Abend gesprochen hatte. Das Gebet wurde traditionell über den Toten gesprochen, aber Ranis Mutter hatte es zu einem Schutz für die Lebenden, für ihre Kinder gemacht. Jene Worte hatten Rani jeden Tag ihrer Kindheit begleitet, bevor sie wusste, dass

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