Die Gilden von Morenia 04 - Die Prüfung der Glasmalerin
sie für die Glasmalergilde bestimmt war, bevor sie wusste, dass sie ihre Familie und ihre Freunde verraten würde. Bevor sich ihr Leben für immer veränderte.
»Das Kindermädchen sagt mir, ich müsse auch beten«, sagte Berylina, und Rani war gezwungen, sich daran zu erinnern, wo sie jetzt war, wer sie war, dass sie für die Führung dieser Hypnose verantwortlich war.
Sie atmete zitternder ein, als es hätte sein sollen, und fragte: »Welche Worte betet Ihr?«
»Ich bitte Nome, mich zu segnen. Ich bete: ›Möge Nome mich mit seiner Gnade und Güte betrachten. Möge Nome mich beschützen. Möge Nome mich leiten.‹« Berylinas Worte waren noch von der Sprechweise der Kindheit gemildert, aber ihr Tonfall klang klar, grimmig. Während Rani hinsah, erstrahlte ein Licht auf dem Gesicht der Prinzessin, eine brennende Macht, die sich wie eine Kerze in der Nacht ausbreitete.
»Was?«, flüsterte Rani. »Was seht Ihr?«
»Ich sehe nichts!«, sagte Berylina. »Ich sehe nichts!«
»Was ist es? Was geschieht, Berylina?«
»Nome kommt zu mir!«
»Was sagt er?«
»Nome benutzt keine Worte! Nome bringt den Klang der Musik! Er flötet, wie die Gaukler auf meiner Geburtstagsfeier! Er spricht in Musik!« Freude breitete sich auf Berylinas Gesicht aus, und sie wandte den Kopf, als lausche sie den wundervollsten Noten auf der Welt.
Rani beobachtete die Verwandlung, beobachtete, wie die Hasenzähne der Prinzessin verschwanden, beobachtete, wie ihre seltsame Andersartigkeit dahinschmolz. Wenn Nome für sie spielte, war sie ein anderes Mädchen, ein gesegnetes Mädchen, ein Kind, das in den Herzen der Götter perfekt war, auf jede Art, die zählte. Sie war sicher. Geliebt. Frei.
Rani wollte die Prinzessin in ihrer Erinnerung verweilen lassen, wollte, dass sie in der Schönheit der Vergangenheit lebte. Aber das konnte sie nicht. Der Wächter würde bald nach ihnen sehen, ob Bestechung oder nicht. Rani musste die Prinzessin wieder in den normalen Wachzustand bringen.
»Mylady, es ist an der Zeit, dass Ihr zu mir zurückkommt, nach Brianta zurückkommt.« Rani sah, wie Berylina die Stirn runzelte, wie sich Protest in ihrer Kehle aufbaute. »Ich werde von zehn bis eins zählen. Wenn ich eins sage, werdet Ihr erwachen, erfrischt und ohne Angst. Ihr werdet Euch an alles erinnern, worüber wir gesprochen haben, an alles, was Ihr mir erzählt habt. Ihr werdet Euch jedoch keine Sorgen mehr machen. Ihr werdet keine Angst mehr haben. Ihr werdet warm und sicher und geschützt sein.«
Rani sah sich zu den Wänden des Gefängnisses um, fragte sich, wie sie solch eine Behauptung überhaupt ernsthaft aufstellen konnte. Keine geistig gesunde Frau würde sich in dieser Zelle sicher fühlen. Dennoch legte Rani Zuversicht in ihre Stimme und zählte. »Zehn. Neun. Acht.« Sie beobachtete, wie sich Berylinas Gesicht veränderte, wie sie sich von ihren Erinnerungen auf die Gegenwart zubewegte. »Sieben. Sechs.« Der Kiefer der Prinzessin schien weiter vorzuragen, ihre Zähne standen über ihrer Unterlippe hervor. »Fünf. Vier.« Berylina wandte den Kopf nach rechts, ihre übliche Haltung, um Menschen sehen zu können, die nahe bei ihr standen. »Drei. Zwei. Eins.«
Berylina keuchte, als dringe sie von unten durch eine Wasseroberfläche. Ihre Augen öffneten sich ruckartig, und sie richtete sich auf. Ihr Atem kam abgehackt, hektisch, ein keuchendes Rasseln, das in der Zelle widerhallte, lauter als jedes der Worte, die sie gesprochen hatte.
Plötzlich stand Pater Siritalanu auf der Schwelle, sein Gesicht unter der Tonsur käsebleich. »Was habt Ihr mit ihr gemacht? Was habt Ihr mit der Prinzessin gemacht?« Berylinas Augen waren verdreht, und Rani fing sie auf, als sie zu Boden sank, schlaff wie ein Ballen rohe Seide. »Was habt Ihr mit meiner Herrin gemacht?«
»Still!«, sagte Rani und blickte bedeutungsvoll zur Tür. »Der Wächter wird Euch hören!«
Pater Siritalanu wollte laut etwas äußern, aber dann schluckte er die Worte hinunter, als wären sie in diesem Geburtsland Jairs selbst für eine Gefängniszelle zu zornig. Stattdessen trat er zu Berylina. Er nahm ihre rechte Hand zwischen seine und rieb sie warm, hob sie an sein Herz, als wollte er seine Lebenskraft allein durch die Kraft seines Gebetes auf sie übertragen. »Mylady«, flüsterte er, Dringlichkeit seine Worte schärfend. »Mylady, kommt zu uns zurück! Wir brauchen Euch hier, Mylady.«
Berylina öffnete ruckartig die Augen. Das schielende Auge zuckte umher, als könnte
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