Die gläserne Gruft
Gegenstände sind natürlich weggeschlossen worden, damit niemand an sie herankommt. Wer sich in der Nacht auf das Gelände schleichen will, hat natürlich Pech gehabt. Es sei denn, er ist ein brutaler Mörder, dem nichts heilig ist.« Sie schauderte zusammen und trank rasch einen Schluck Wasser. »Das haben wir ja wohl erlebt. Seit der Tat sind einige Tage vergangen. Zurückgekehrt ist der Täter an den Ort seines Verbrechens leider nicht. Ich meine leider, weil wir ihn nicht haben fassen können.«
»Hat man denn einen bestimmten Verdacht?«, wollte ich wissen.
»Nein, gar nichts. Es gibt keinen Verdacht. Man hat ja nichts gesehen, mit Ausnahme dieses Schattens.«
»Wohnt der Zeuge hier in Dresden?«, fragte Harry.
»Sie meinen Ecki Müller?«
»Ja.«
»Sicher.«
Harry warf mir einen Blick zu. »Ich denke, dann sollten wir mal mit ihm sprechen.«
Der Ansicht war ich auch. Allerdings später, denn jetzt dachte ich über etwas anderes nach, und ich ging davon aus, dass mir Carola Schiller helfen konnte.
»Wie wäre es mit einer Besichtigung der Anlage?«, fragte ich.
»Jederzeit.«
»Auch jetzt?«
Sie nickte.
Ich schaute meine Freunde an. »Tja, worauf warten wir dann noch? Es ist hell, die Sonne scheint. Was sollte uns davon noch abhalten?«
»Wir müssen nur noch zahlen«, sagte Harry, und das übernahm er...
***
Sonne, hinzu kam die Kälte und dann dieser Wind, der vom Fluss herwehte und seinen Weg durch die engen Straßen fand, sodass er gegen unsere Gesichter biss.
Ich hatte mir einen blauen Schal um den Hals gebunden und hoffte, dass er einen Teil der Kälte abhielt. Der Nacken und der Hals sollten durch das Hochstellen des Kragens gewärmt werden, denn frieren wollte keiner.
Carola Schiller hatte die Führung übernommen. Sie ging neben Dagmar her. Die Frauen sprachen leise miteinander, während ich mich mit Harry unterhielt.
»Wie siehst du die Dinge?«, fragte ich ihn.
Er zuckte mit den Schultern. »Viel Geschichte, aber keine Spuren, die uns weiterbringen.«
»Genau.«
»Aber es gibt den Mörder. Er gibt hier jemanden, der einem anderen Menschen den Kopf abgeschlagen hat wie ein Henker.«
Wie ein Henker!
Der Satz setzte sich in meinem Kopf fest. Ich blieb stehen und schaute Harry an. »Henker ist gut«, sagte ich leise. »Ich brauche nur an die früheren Zeiten zu denken. Es hat immer wieder Henker gegeben, die mit ihrem Beil Menschen ins Jenseits beförderten.«
»Und die jetzt tot sind!«
Beide lächelten wir, denn beide wussten wir es besser. Ich hatte meine Erfahrungen mit diesen alten Henkern gemacht, die auf Grund eines Fluchs nicht gestorben und wieder zurückgekehrt waren. So hatte die Tat hier auch ablaufen können. Ich beschloss, diese Möglichkeit im Auge zu behalten.
Wir gingen am Zaun entlang und blieben dort stehen, wo eine Tür in ihn integriert war. In der Nähe standen auch andere Menschen. Sie schauten uns überrascht an. Eine ältere Frau trat vor, als Carola Schiller einen Schlüssel aus ihrer schmalen Umhängetasche holte und in das Schloss schob.
»Kann man diese Felder besichtigen?«, wurde Dr. Schiller gefragt.
»Nein, das können Sie nicht. Nur Fachleute.«
»Ah ja, danke.«
So waren die Leute eben. Es wäre noch schöner gewesen, wenn wir von einem Pulk aus Neugierigen begleitet worden wären. Wir mussten allein zurechtkommen, und ich hoffte, dass wir auch an eine Lösung herankamen.
Mir wollte der Henker nicht aus dem Kopf. Ein Henker, der möglicherweise in einer Gruft eingeschlossen worden war. Über Jahrhunderte. Vielleicht existierte hier sogar eine Sage, die auf einen solchen Henker hinwies.
Es war nichts unmöglich, und es wäre auch nicht das erste Mal gewesen, dass mich eine uralte Sage auf die Spur gebracht hatte, die letztendlich zur Lösung führte.
Noch war alles Theorie. Die Praxis sah im Moment so aus, dass uns unsere Führerin vor Fehltritten warnte. »Es gibt hier zwar Treppen, aber einige Stufen sind schon mehr als rutschig. Da sollten Sie sich wirklich vorsehen.«
Wir bedankten uns für die Warnung und schauten nach unten. Die Treppe war einfach in einen Abhang hineingeschlagen worden. Wirklich primitive Stufen ohne Geländer. Es war zu sehen, dass Carola Schiller den Weg schon öfter gegangen war.
Am Ende des Abstiegs wartete sie auf uns. Ich schaute mich um, auch zurück und sah den Zaun jetzt über uns. Dort standen noch immer die Neugierigen und blickten herab. Da wir uns hier unten befanden, hatten sie natürlich noch mehr
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