Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin
sie, gegen alle Gewohnheit, auf die Stirn, ging noch einmal nach nebenan zu Inés, küsste auch sie, warf sich dann seinen Mantel über und verließ das Atelier.
Die Sonne war untergegangen, und die Etsch schickte ihren Nebel nach Trient.
16
Camera della Verità , Raum der Wahrheit, war ein schöner, etwas mystischer Name für ein hässliches Gewölbe unter dem Stadtgefängnis. Steile Stufen, die zum Stolpern einluden, führten in die Dunkelheit hinab.
Sandro lief, so schnell das möglich war, mit einer Fackel in der Hand durch einen geraden Gang, dessen Ende noch nicht zu erkennen war. Nachdem Aaron ihm die Nachricht gebracht hatte, war er sofort hierhergeeilt. Er betete, nicht zu spät zu kommen. Von weither drangen Stimmen, die durch den Hall verzerrt waren, und ein schauriges Klirren. Immer wieder trat er in Pfützen, und manchmal perlte ein eiskalter Tropfen in seinen Nacken oder auf die Tonsur, den er dann mit einer ungeduldigen Bewegung wegwischte.
Endlich sah er eine Eichenholztür, die faulig wirkte, aber gewiss noch Kraft für Jahrhunderte hatte; er stieß er sie auf.
Zwei Knechte, ein Gerichtsschreiber, Hauptmann Forli und Luis standen oder saßen im Raum verteilt, einem Raum, der Sandro an jenen in Rom erinnerte. Die Atmosphäre war dieselbe. Es roch nach Schweiß und Schimmel. Unförmige Schatten seltsamer Apparate zuckten geistergleich an der Wand. Die Geräte kamen ihm ebenfalls bekannt vor, so als gäbe es eine empfohlene Standardausstattung für Räumlichkeiten dieser Bestimmung.
Bei seinem Eintreten wandten sich die Anwesenden zu ihm um, und gaben dabei den Blick frei auf Carlotta. Sie saß auf einem Steinblock, und vor ihr stand einer dieser Apparate. Carlottas linker Arm war von einem Eisenrohr umschlossen.
Forli und Luis kamen sofort auf Sandro zu, und Forli sagte: »Wir wollten soeben anfangen.«
»Das verbiete ich«, rief Sandro erregt.
Luis gab dem Schreiber ein Zeichen, dass er dies auf keinen Fall protokollieren solle. »Lass uns draußen reden«, sagte er.
»Nur, wenn das Verhör unterbrochen wird.«
Luis gab rasch nach. »Also gut, wir unterbrechen.«
Luis und Sandro gingen vor die Tür. Auch Forli kam mit nach draußen in den Gang, nahm Sandro die Fackel aus der Hand und baute sich wie Goliath vor dem Eingang auf. Er sah aber nicht aus, als wolle er sich an der folgenden Auseinandersetzung beteiligen.
»Wann«, fragte Luis, »kommst du endlich zur Besinnung? Die Konkubine ist unsere einzige Verdächtige.«
»Sie ist nicht die Mörderin von Bertani und Cespedes.«
»Woher willst du das wissen?«
»Sie ist es nicht«, beharrte Sandro. »Welches Motiv sollte sie haben, Cespedes zu töten? Ich kenne Leute mit viel besseren Motiven als sie.«
»So? Wen denn?«
»Dich, zum Beispiel.«
»Das ist eine lächerliche Anschuldigung. Cespedes stand mir politisch sehr nahe, sein Tod ist ein Rückschlag für mich.«
»Cespedes erhielt kürzlich einen Brief des Kaisers, in welchem dieser drohte, ihn nicht zum Großinquisitor Spaniens zu machen, falls er sich weigere, die Reformen zu unterstützen.«
Das war eine Spekulation, die allein auf einem gebrochenen kaiserlichen Siegel beruhte, ein Bluff, einer von denen, die Luis selbst gerne einsetzte. »Und du hast davon gewusst«, fügte Sandro selbstsicher hinzu. »An dem Morgen, als ich dich mit Cespedes in der Bibliothek traf, hat er dir erzählt, dass ihm keine Wahl bleibe, als dem Kaiser nachzugeben. Er war eben auch nur ein Karrierist – so wie du.«
Luis erblasste. Er widersprach nicht. Der Sprachgewaltige war einen Moment lang sprachlos.
»Bertani, der Reformer. Cespedes, zur Reform gezwungen«, zählte Sandro auf. »Du profitierst gehörig von ihrem Tod, die Mehrheiten neigen sich zu deinen Gunsten. Mit Villefranche an deiner Seite kann dir jetzt nicht mehr viel passieren. Ich finde, das alles passt sehr gut zusammen.«
Luis’ Lippen wurden schmal. »Also schön, es stimmt, was Cespedes angeht. Na und? Deswegen habe ich noch lange niemanden umgebracht. Meine Waffe ist das Wort, nicht der Dolch, jeder weiß das. Einer Geschichte wie deiner wird niemand glauben. Dir fehlt jeder Beweis, weil es keinen Beweis gibt. Ich hingegen habe Carlotta da Rimini. Sie ist eine Besessene.«
»Besessen wovon?«
»Davon, Geistliche zu töten.«
»Wieso?«
»Wenn wir sie lange genug befragen, werden wir schon einen Grund finden. Vielleicht handelt sie im Auftrag dunkler Mächte. Immerhin wurde ein Inquisitor getötet, ein Kämpfer gegen
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