Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin
nicht einmal mehr das billigste Bier leisten kannst, hast du dir gedacht, eine schöne Geschichte würde deine Börse wieder füllen.«
»Nein, Vater, ehrlich nicht. Ich habe manchen Fehler, aber ein gemeiner Lügner bin ich nicht. Ich schwöre bei …«
»Lassen wir Ihn während dieses Gesprächs aus dem Spiel«, sagte Sandro streng. Er überlegte kurz. Es war riskant, der Aussage dieses Mannes zu vertrauen, aber konnte ein Verdurstender sich erlauben, die Qualität des Wassers zu bemängeln, das er fand? Dolche konnten nicht sprechen, und Tote auch nicht. Er hatte bloß diesen einen Zeugen.
»Schön, ich glaube dir«, sagte Sandro. »Aber um festzustellen, ob du die Wahrheit sagst, muss ich den Mann identifizieren, den du gesehen hast, verstehst du?«
Bruno zuckte die Schultern. »Das verstehe ich.«
»Da du ihn nicht kennst, wird er nicht aus Trient stammen. Es besteht also die Möglichkeit, dass er Teilnehmer des Konzils ist. Morgen früh tritt es vollständig zusammen, Hunderte von Geistlichen und Laien, Hunderte von Fremden. Wir werden auch dort sein.«
Brunos Kappe glitt ihm aus den Händen. » Ich soll …? Auf dem Konzil der Kirchenväter?«
»Im Hintergrund. Du wirst sie sehen, aber sie werden dich nicht sehen.«
»Und die Belohnung?«
»Solltest du den Fremden erkennen, werde ich ihn zur Rede stellen, und falls du recht behältst …«
»… werde ich belohnt.«
Sandro atmete tief durch. Er blickte Bruno, der gewiss irgendwann der Stolz einer Mutter gewesen war, traurig an und sagte: »Wenn du es unbedingt so nennen willst.«
Sandros Andacht
Wieso bin ich heute Morgen zu ihr gegangen? Der Schild war nur der eine Grund. Ich hätte zuerst in die Bibliothek von San Lorenzo gehen können und sie erst danach, wenn meine Recherche ergebnislos geblieben wäre, um Rat fragen können. Ich habe es anders herum gemacht. Wieso? Was zieht mich zu ihr hin? Sie ist nicht hübsch, nicht in dem Sinn, wie Beatrice es war. Sommersprossen und strohblondes Haar waren nie mein Fall. Sie ist nicht vornehm und auch nicht besonders raffiniert. Gut, sie ist intelligent, aber auch Intelligenz war nie wichtig für mich. Alles Opulente geht ihr ab. Warum also war ich gekränkt, als sie heute Morgen mein Angebot ablehnte? Erstens sollte es mich nicht verwundern, dass eine Frau der Einladung eines Mönchs zu einer Trauermesse widerstehen kann. Zweitens: Was hätte ich dort mit ihr getan? Choräle gesungen?
Sie ist ungeniert. Früher habe ich das gemocht. Sehr sogar.
Sandro tauchte, aus dem Dom kommend, in den Nebel ein, der vom Fluss aufstieg und einen leicht modrigen Geruch mit sich trug. Es war schon dunkel, aber das Mondlicht reichte aus, um den gespenstisch leeren, von Dunstschwaden überzogenen Domplatz zu überblicken.
Er hatte soeben seine Abendandacht absolviert, und eigentlich hatte er vorgehabt, direkt zu seinem und Luis’ Quartier im Kloster zu gehen, so wie die Mitbrüder im neapolitanischen Kolleg sich jetzt auch zur Ruhe begaben. Aaron war längst zu Hause, Bruno längst auf dem Weg zum Wirt des Cigno, um dort auf Kredit ein halbes Dutzend Becher Biere zu trinken, und im Grunde konnte Sandro heute nichts mehr tun. Doch dann war ihm während der Andacht jener Dolch eingefallen, den Aaron auf dem Domplatz gefunden hatte.
Sandro stand jetzt dort, wo Innocento del Monte am Vormittag angekommen war. Die Menschenmenge hatte den Papstsohn begafft und gefeiert, aber einer der Leute war weniger gut auf ihn zu sprechen, davon musste Sandro ausgehen. Er konnte es sich schlichtweg nicht leisten, an etwas anderes als an einen Attentatsversuch zu glauben. In Trient ging jemand um, der sich zum Ziel gesetzt hatte, hohe Geistliche zu töten.
Statt den Weg zum Kloster San Lorenzo einzuschlagen, ging er in Richtung des Palazzo Miranda, in dem Innocento del Monte untergekommen war. Er musste gewarnt werden. Gerade als er dort ankam, sah er, wie der junge Kardinal das Haus verließ. Seinen Talar hatte er zugunsten einfacher Straßenkleidung abgelegt, so dass er von einem römischen Ragazzo, einem Gassenjungen, nicht mehr zu unterscheiden war. Sandro wollte nach ihm rufen, aber im letzten Moment entschloss er sich, es nicht zu tun und dem jungen Mann in einigem Abstand zu folgen. Er hatte einen unverkennbaren Gang, wie ihn die männlichen Bewohner der Armenviertel oft haben: ein leicht nach vorn gebeugter Oberkörper, die Arme herabhängend, ein fester Schritt. Früher hatten Sandro und seine Freunde sich über
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