Die Glaszauberin pyramiden1
stumpf. Das Übel arbeitete sich in kriechenden, sich windenden grauen Schlangen in die Höhe, die Schienbeine hinauf, die Unterschenkel, die Oberschenkel.
Die Männer litten Qualen. Sie wanden sich und versuchten wegzulaufen, aber sie konnten es nicht, denn ihre Füße waren aus Stein und mit der Pyramide fest verwachsen.
Das Grau kroch erbarmungslos höher. Ihre Hüften, ihre Bäuche, und jetzt rissen ihre Schreie ihr Inneres auseinander, aus einem Mund sah ich Blut hervorschießen. Ein Mann schnappte nach Luft, um zu schreien, und er würgte daran, dann versuchte er es erneut, und seine Augen quollen hervor, und er würgte und erbrach sich, und das Erbrochene waren Steinsplitter.
Ich wollte wegsehen, ich wollte mich abwenden und mein Gesicht an Kiamets Brust verbergen, aber ich konnte es nicht, denn es war mein Vater, der da vor mir starb, mein Vater, der mich geliebt und der mich großgezogen hatte und den ich trotz seiner Fehler liebte.
»Ys…«, flüsterte er, und seine Stimme war rauh und krächzend, als würde er sie durch eine aufgerauhte Kehle zwingen. »Ys…«
Bei den Göttern! Er wollte mich mit meinem Geburtsnamen ansprechen!
Er konnte nicht mehr atmen, denn der Stein hatte seine Brust erreicht; die Adern in seinem Hals traten hervor und pochten wild, dann verblichen auch sie zu Grau, und seine Augen, die mich noch immer anstarrten, traten hervor, und aus einem Augenwinkel sickerte Blut, das sich auf seinen Wangen in Steintränen verwandelte, und dann zerplatzte das eine Auge, und dann, glaube ich, war es vorbei, denn sein Gesicht war nur noch eine Skulptur… die Skulptur eines Mannes, der unter solchen Qualen gestorben war, daß sie für alle Ewigkeit in sein Gesicht gemeißelt war.
Stille.
»Solche Macht!« flüsterte Boaz, und das löste das Entsetzen, das mich gelähmt hatte.
»Du kaltblütige Echse!« schrie ich. »Fließt denn nur Stein in deinen Adern?«
Er drehte sich um und starrte mich an. Das tat jeder, und ich glaube, meine Stimme mußte bis zu den vielen Männern gedrungen sein, die auf der Rampe oder in ihrer Nähe standen und die elf zu Stein erstarrten Männer anstarrten.
»Das war mein Vater, der da vor deinen Augen gestorben ist, und du stehst einfach nur da und teilst uns deine Bewunderung mit?« Ich hatte keine Angst. Nicht die geringste.
»Die Pyramide ist ein Ungeheuer, Boaz! Ist es gut, daß sie zerstört und tötet? Ist das gut? Gefällt dir das? Ist es das, was dein Vater gewollt hätte?« Oh, bei den Soulenai, ich hätte erkennen müssen, daß ich damit nichts erreichen würde – außer meinen eigenen Tod herbeizurufen.
Ich riß meinen Arm aus Kiamets Umklammerung und beschrieb damit einen großen, allumfassenden Bogen. »Wie kannst du dastehen und das Böse preisen, während du dich zur gleichen Zeit danach verzehrst, das Lied der Frö…«
Er schlug mich.
Mein Kopf prallte mit solcher Wucht gegen Kiamets Brust, daß er bestimmt eine Prellung davontrug.
Dann packte Boaz mein Haar und riß mein Gesicht zu sich heran. In seinen Fingern wogte der Zorn und die Macht der Eins.
»Gut, daß die Glasnetze so gut wie fertig sind«, zischte er durch die zusammengebissenen Zähne, »denn jetzt kann ich es mir leisten, mich von der unverschämtesten aller Glasschleiferinnen zu befreien!«
Er stieß meinen Kopf wieder gegen den Wächter. »Steck sie in den Kerker, Kiamet, und sperr sie ein. Kein Essen. Kein Wasser. Sag mir Bescheid, wenn sie tot ist.«
Ich hörte, wie er wegging. »Und holt jemanden, der diese nutzlosen Felsklötze in den Lhyl wirft. Weit weg von den Anlegestellen. Ich will nicht, daß die Schiffe ihren Kiel daran beschädigen.«
Die Zellen im Kerker der Siedlung waren aus dickem Stein gebaut, um auch die widerspenstigsten Sklaven von einer Flucht abhalten zu können. Es gab keine Fenster, und die wenige Luft, die hereinkam, drang durch einen Spalt zwischen zwei Steinblöcken hoch oben in einer der Wände.
Es gab eine dicke Holztür, die fest verriegelt war. Sonst nichts. Keine Pritsche, keine Decken. Und kein Wasser. Nicht einmal einen Eimer, in den ich mich hätte erleichtern können.
Ich rollte mich zu einer Kugel zusammen und weinte. Mein Vater war tot. Und es war alles meine Schuld. Die Soulenai hatten mich mit der Aufgabe betraut, Boaz dazu zu bringen, seine Herkunft als Elementist anzunehmen und die Pyramide zu zerstören. Aber ich hatte nichts anderes getan, als mich an das bequeme Leben einer ausgehaltenen Geliebten zu gewöhnen.
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